Der Kongo und das postkoloniale Syndrom

Belgien kritisiert mangelnde Reformen im Kongo immer schärfer. In Kinshasa wird das immer weniger akzeptiert

BRÜSSEL taz ■ Zwischen der Demokratischen Republik Kongo und seiner früheren Kolonialmacht Belgien herrscht Eiszeit. Grund ist eine denkwürdige Reise belgischer Minister in den Kongo. Statt der belgisch-kongolesischen Beziehungen vertiefte der Besuch von Außenminister Karel De Gucht, Entwicklungsminister Charles Michel und Verteidigungsminister Piet De Crem vom 20. bis 24. April die Gräben.

Besonders schlecht kam De Guchts Rede vor kongolesischen Offiziellen in der belgischen Botschaft am 21. April an, in der er Kongos Regierung aufforderte, die „riesigen Privilegien von gewissen Personen“ einzuschränken. Von belgischer Seite wird dazu präzisiert, es gehe um den jüngsten Neukauf von 500 Geländewagen zum Stückpreis von 40.000 US-Dollar für die Abgeordneten des 2006 gewählten Parlaments, während Kongos Lehrer im Streik für höhere Gehälter waren.

Man müsse sich bei Reformen im Kongo „auf verbissenen Widerstand all jener einstellen, die nicht davor zurückschrecken, das Wohlergehen der Bevölkerung der eigenen Bereicherung zu opfern“, ergänzte der Außenminister am 27. April vor dem belgischen Parlament und ließ durchblicken, er meine auch Staatschef Joseph Kabila damit. „Bloß weil Kabila demokratisch gewählt ist, gehört ihm der Kongo nicht“, sagte er.

Der mitgereiste Abgeordnete Georges Dallemagne betont, dass Kongos Regierung letztes Jahr 250 Millionen US-Dollar Einnahmen aus dem Bergbausektor bekam, aber nur 30 Millionen im Staatshaushalt landeten. Kritisiert wird auch die Nichteinhaltung bereits getroffener Vereinbarungen. So hat Kongos Regierung das eigentlich der Hafenbehörde von Antwerpen zugesagte Management des einzigen kongolesischen Tiefseehafens Matadi am Unterlauf des Kongo-Flusses stattdessen der Firma Rakia aus den Vereinigten Arabischen Emiraten zugesprochen. Die Bergbau- und Infrastrukturverträge, die der Kongo mit China geschlossen hat, stoßen in Belgien ebenfalls auf heftige Kritik.

Kongos Reaktion ließ nicht auf sich warten. In einem Interview mit der belgischen Tageszeitung Le Soir sagte Präsident Kabila, er habe De Guchts Aussagen „überhaupt nicht geschätzt“. Er warf dem belgischen Außenminister, den er bei vor seiner Audienz mit ihm in Kinshasa am 22. April sieben Stunden lang hatte warten lassen, „Arroganz“ vor. Belgien müsse sich entscheiden, ob es mit dem Kongo „gute Beziehungen“ oder eine „Herr-und-Knecht-Beziehung“ wolle.

Kongos Botschafter in Belgien, Jean-Pierre Mutamba, wittert hinter der belgischen Kritik einen Rückzug der einstigen Kolonialmacht. „Belgien scheint sich nicht mehr für den Kongo zu interessieren“, bedauert er. Das Bergbauunternehmen Umicore, belgische Nachfolgerin des 1967 im Kongo verstaatlichten Bergbaugiganten Union Minière, beteilige sich nicht an der Mineralienförderung in ihrem einstigen Kupferrevier in Katanga, sondern widme sich nur noch der Verarbeitung. Die Diamantenfirma Sibeka habe ihren Minderheitsanteil an Kongos staatlichem Diamantenunternehmen MIBA an die südafrikanische Mwana Africa verkauft, die belgische Banque Fortis wolle ihre kongolesische Tochter BCDC loswerden.

„Ein neues Kapitel beginnt in den belgisch-kongolesischen Beziehungen“, sagt der kongolesische Politologe Bob Kabamba von der Universität Lüttich. Es habe immer wieder Krisen gegeben, unter Mobutu sowie unter Laurent-Désiré Kabila, Vater des heutigen Präsidenten. Aber nie sei der Ton von belgischer Seite so unversöhnlich gewesen wie jetzt. De Gucht fiel bereits 2004 im Kongo unangenehm auf, als er sagte, im Nachbarland Ruanda gebe es wenigstens einen Staat. Aber auch Kongo sieht immer weniger Gründe, warum man es den Belgiern recht machen solle, zumal Belgien mittlerweile als Geberland von Großbritannien überholt worden ist, als Handelspartner von Südafrika und als Investor von China. Kabila sagte De Gucht angeblich im Gespräch: „Wenn das so weitergeht, kriegt ihr euer Geld zurück.“ Die Zeiten ändern sich. FRANÇOIS MISSER