Zur Sonne, zum Licht

Die Berlin Biennale hat eine weitere Ikone der Architekturmoderne okkupiert: In Le Corbusiers Unité d’Habitation (Typ Berlin) führte die Künstlerin Susanne M. Winterling ihre Performance über den zweifelhaften Sieg der Architekturmoderne auf

Die Künstler und Architekten der Moderne bestimmen immer noch sehr unsere Zeit

VON TIM ACKERMANN

Susanne M. Winterling erzählt Geschichten von Licht. Zum Beispiel zitiert sie Kasimir Malewitsch, der mit einer futuristischen Oper den Sieg über die Sonne zu erringen suchte. Jetzt war Winterlings Performance „On the displays of light , inside and outside – there might be no victory over the sun“, im Rahmen der Berlin Biennale im Foyer von Le Corbusiers Unité d’Habitation (Typ Berlin) zu sehen, wie er in Charlottenburg an der Heerstraße nahe dem Olympiastadion steht. Bei der Biennale, die ja den Titel „Wenn die Dinge keinen Schatten werfen“ trägt, zeigt die Berliner Künstlerin zudem eine Installation in der Neuen Nationalgalerie. Sowohl Le Corbusiers „Wohnmaschine“ als auch Mies van der Rohes Glaskasten sind bei idealem Sonnenstand von Licht durchflutet. Dann fällt in ihnen kein Schatten.

Die Performance findet im Dämmerlicht eines regnerischen Maiabends statt. Drei trapezförmige Figuren aus Licht werden mithilfe von Lampen auf den Boden projiziert. Drei Teenagermädchen treten auf. Sie tragen schwarze Kleider mit Verformungen, die an Schmetterlingsflügel oder auch Buckel erinnern. Wortlos gehen die Mädchen zwanzig Minuten lang durch den Raum, wobei sie peinlich genau darauf achten, dass sie nicht auf die hellen Trapeze treten. Die weißen Schuhe des ältesten Mädchens klackern auf dem dunklen Stein. Die drei folgen dem Lichtkreis eines Scheinwerfers, der über auf dem Boden wandert. Ein Spiel? Eine Projektion im Hintergrund zeigt Bilder von geometrischen Lichtformen und Schwarz-Weiß-Aufnahmen eines Frauengesichts. Frisur und Make-up erinnern an die Zwanzigerjahre. Ein Rollenmodell?

Ästhetische Reduktion und die Rückbesinnung auf die Moderne sind zwei Leitmotive der diesjährigen Berlin Biennale. In Winterlings Performance fallen sie prägnant zusammen. Die Moderne ist bei ihr allgegenwärtig: Le Corbusier, natürlich. Die projizierten Bilder dazu stammen aus Malewitschs Oper und aus dem 1924 von Fernand Léger gedrehten Experimentalfilm „Le ballet mécanique“. „Die Künstler und Architekten der Moderne bestimmen immer noch sehr unsere Zeit“, sagt Winterling. Der Rückgriff ist daher zwangsläufig, nicht nostalgisch. Sie ist kritisch. Während und nach dem Kunststudium in Hamburg war sie oft im Golden Pudel Club, als festes Mitglied der studentisch organisierten Gegenuni „Akademie Isotrop“. „Im Grunde interessiere ich mich auch immer für Machtverhältnisse“, sagt sie.

Ihre Biennale-Installation in der Neuen Nationalgalerie widmete sie der Designerin und Architektin Eileen Gray, die in ihrem Wohnhaus E.1027 die Ideale der modernen Architektur radikal umsetzte, dafür auch von Le Corbusier und Mies van der Rohe bewundert und am Ende aus der Architekturgeschichte getilgt wurde. Solche Frauenfiguren, Rollenfiguren, kommen einem in den Sinn, wenn man Winterlings Performance betrachtet. Natürlich lässt sich die Darbietung als eine leise Provokation gegenüber Le Corbusier verstehen. Dessen Rationalismus sah es vor, dass Kinder an festgelegten Orten in der „Wohnmaschine“ spielen, aber wohl nicht unbedingt im Foyer. Dass am Ende der Performance die Architektur unbehelligt bleibt, ist sinnbildlich: Das Kinderspiel verhärtet sich dagegen in mechanisch wiederholten Gesten wie bei Léger.

Man kann, andererseits, die drei Protagonistinnen wirklich als Heranwachsende lesen, die mühsam ihren Weg suchen. „Ich arbeite oft mit Teenagermädchen“, sagt die Künstlerin, „denn sie kämpfen sich mit Rollenmodellen ab und suchen noch nach ihrem visuellen Ausdruck.“ Die Pubertät ist eine Zeit, in der sich die Welt vor den Jugendlichen öffnet und sie sich gleichzeitig vor ihr zurückziehen, Fotoapparate genauso meiden wie die Augen Erwachsener. Winterling, man spürt es, erzählt hier Geschichten von Schatten.