ortstermin: auf dem katholikentag wird über den exorzismus diskutiert
: Von der Befreiung vom Bösen

Die Dämonen wissen, wie sie ihre Zielgruppe am besten ansprechen: Kaum habe er früher die Bibel zur Hand genommen, berichtet der Mann aus dem Publikum, da hätten sexuelle Bilder seinen Kopf überschwemmt. Hilfe fand der Mann dann durch das „Gebet um Befreiung“, das Bekannte für ihn sprachen. Heute ist er verheiratet, hat prima Sex, alles paletti. Diese rituelle Handlung, eine „Sakramentalie“, wie Pfarrer Martin Birkenhauer sie nennt, irgendwo zwischen Sakrament und Freundschaftsdienst, zwischen Exorzismus und Therapie angesiedelt, bietet die katholische Gemeinschaft „Charismatische Erneuerung“ an.

Auf Papphockern gegen die Mittagsmüdigkeit ankämpfend, diskutieren Katholikentagsbesucher mit Birkenhauer und seinem Widerpart, dem Frankfurter Theologen Lutz Lemhöfer, der hier sozusagen die Stimme der Aufklärung vertritt, über das Wesen des Bösen – und wie man ihm am besten begegnet. Beten ist gut, aber manchmal nicht erforderlich, zeigt das Beispiel Lemhöfers: Ein „sehr frommer“ Psychiater etwa habe sich dann doch auf Neuroleptika verlegt, als sein Patient jedes Mal einen psychotischen Schub bekam, wenn er sich der Bibel näherte. Und siehe: Auch die Medikamente wirkten. „Erfreulich, dass der Schöpfer auch auf diese Weise hilft“, befindet Theologe Lemhöfer und schließt daraus: Die Kriterien, nach denen eine dämonische Besessenheit diagnostiziert wird, sind nicht stichhaltig. „Das ist auch nicht nötig“, kontert Schulpfarrer Birkenhauer. Hauptsache, die Gegenmittel funktionieren – „und das Gebet um Befreiung“.

Teufelsaustreibungen sind unter dem Pontifikat Benedikts XVI. und dem seines Vorgängers nach wie vor populär: Im 21. Jahrhundert wurden bereits hunderte Exorzisten ausgebildet, 2004 fand ihre erste internationale Konferenz in Mexiko statt. Die kirchlichen Regeln schreiben inzwischen vor, dass vor der Teufelsaustreibung Ärzten und Psychologen eine medizinische Ursache der „Besessenheit“ ausschließen müssen. In Italien und Polen wird viel exorziert, sagt Lemhöfer, in Deutschland sei man sehr vorsichtig, seit 1976 die Studentin Anneliese Michel im Verlauf einer Teufelsaustreibung starb.

Im Unterschied zum „Großen Exorzismus“ indes finde das „Gebet um Befreiung“ täglich statt, berichtet Birkenhauer. Wie oft sich jemand an ihn wendet, der sich vom Teufel besessen glaubt? Er bleibt die Antwort schuldig. „Ich glaube, Sie haben nicht verstanden, worum es hier geht.“

Seine Schüler hätten ihn gebeten, ein Foto von seinem Auftritt machen zu lassen, lässt Birkenhauer wissen – so absurd schien ihnen offenbar das Thema der Diskussion. Doch hier, in der umfunktionierten Turnhalle kann er auf Verständnis rechnen. Wie er seine kritische Position mit der Bibel in Einklang bringe, will ein wohlgekämmter junger Mann von Lemhöfer wissen. Eine junge Frau schlägt Stille und die Anbetung der Hostie als dritte Alternative zu Gebet und Psychopharmaka vor. Ein Jugendlicher mit Wuschelfrisur indes springt auf und legt eine temperamentvolle Argumentation vor, warum es das Böse eigentlich nicht geben kann. „Hat nicht ein guter Gott die Welt erschaffen?“ Da bremst ihn ausgerechnet der Skeptiker Lemhöfer: Das Böse stecke tief im Menschen drin, und der Teufel sei vor allem eine Metapher. Birkenhauer indes will den Gequälten entlasten: Wer von Dämonen besessen sei, brauche sich nicht vor moralischer Verurteilung zu fürchten: Er dürfe sich sagen: „Das bin ich nicht selbst.“ ANNEDORE BEELTE