Das sinkende Schiff

Wechseljahr 2008 (18): Wie fühlt sich Amerika? Dagmar Herzog über die Verfasstheit einer Changing Nation

Man weiß nicht, ob es eine Tragödie sein soll oder eine Parodie. „Iron Man“ läuft im Kino. Ein alter Comicstrip, aufgefrischt für die Gegenwart, und der ehemalige Rauschgiftsüchtige Robert Downey Jr. spielt die Hauptrolle mit dem ihm eigenen Charme eines bescheidenen, selbstironischen Antihelden, der ganz genau weiß, dass er es gerade noch wider Erwarten geschafft hat, sich selbst zu retten.

Die Story kreist um die großen epischen Themen Vatermord und Wiedergeburt. Der milliardenschwere Waffenhändler erfährt, dass seine Produkte unzähligen unschuldigen Menschen Leid zufügen – und dass es seine eigene Vaterfigur ist, die das Doppelspiel mit dem Feind inszeniert. Er benutzt seine geniale Erfindungskraft, um bessere Waffen zu entwickeln, seine Firma auf einem anderen Geschäftsfeld zu etablieren, den bösen Vater letztendlich zu töten und damit endlich zu einer eigenständigen Persönlichkeit zu reifen. Die Geschichte mag einfach klingen, ist sie aber nicht. Der Effekt des Films ist komplex, denn die Zuschauer bekommen alles geboten: Man darf sich (schamlos rassistisch) über die technisch zurückgebliebenen Muslime erhaben fühlen, man erlebt den gegenwärtigen Antiterrorkrieg aus der Perspektive eines Gefolterten (aber der Gefolterte ist der Amerikaner), und man kann gegen den furchtbaren Krieg sein – darf sich aber trotzdem an Wunderwaffen ergötzen.

Tragödie oder Parodie? Der ehemalige Pressesprecher des Weißen Hauses, Scott McLellan, zuständig für die Verkaufe des Irakkriegs an amerikanische Medien und das amerikanische Publikum, schreibt seine Memoiren – unter dem Titel „What Happened“ (Was geschah) – und schießt in der Bestsellerliste nach vorne. Neue Enthüllungen enthält das Buch nicht. Dass die Bush-Regierung „manipuliert“ und „Propaganda“ benutzt hat, um den Krieg schmackhaft zu machen, war schon 2003 vielen Leuten klar, und jetzt, 2008, ist es das noch vielen, vielen mehr. Unklar bleibt jedoch McLellans Motivation, damals und heute.

Diese Ungewissheit ist das Interessante an der Affäre. Auch hier geht es um eine Art Vatermord – aber einen viel zu späten. Auch hier geht es um Wiedergeburt und das klassisch amerikanische Phänomen der neuen Selbsterfindung. Aber es bleibt ungewiss, ob McLellan damals wusste, dass er Lügen weitergab, und jetzt ein schlechtes Gewissen hat, ob er naiv war oder böswillige Lust am Machtspiel hatte. Vielleicht aber verlässt er auch einfach wie die Ratten das sinkende Schiff einer nun verachteten Regierung, da der Krieg mittlerweile verloren ist. Und die Medien skandalisierten gespielt entrüstet die Affäre, mit gewohnter Routine.

Die Lehren daraus sind wiederum hoffnungslos widersprüchlich. Man konnte im Spott schwelgen über den mal wieder als völlig inkompetent entlarvten Bush – oder Mitleid für ihn haben und eifrig zynisch über McLellans Absichten spekulieren. Hauptsache, man fühlte sich der ganzen dämlichen, possenhaften Welt Washingtons überlegen. Das Kriegschaos im Irak dauert derweil an.

DAGMAR HERZOG, geboren 1961, Historikerin, forscht unter anderem zum Aufstieg der religiösen Rechten in den USA