ortstermin: Öffentliches Stricken in Oldenburg
: Das Verbindende der Bumerang-Ferse

Ist Stricken politisch? Da brauchen sie nicht lange nachzudenken, die drei Strickenden am Samstag, die den weltweiten Strick-in-der-Öffentlichkeit-Tag im Oldenburger Schlossgarten begehen. Kein Stück, findet Sabine Espelage, Familienmutter aus Cloppenburg. „Stricken beruhigt mich.“ Auf jeden Fall, sagt Günter Wilde, Oldenburger Student und AStA-Referent. „Alles ist irgendwie politisch“, erklärt er und streicht den langen Zopf zurück. Beruhigend findet er das Stricken allerdings auch. Zum Beispiel in der Senatssitzung an der Uni: Wenn es da mal hoch hergeht, nimmt das gleichförmige Auf und Ab der Nadeln der Situation die Anspannung. Und wenn dann jemand einen abfälligen Spruch über strickende Männer reißt, ist man gleich mitten in der Diskussion über Geschlechterrollen und Vorurteile.

Was sonst könnte einen linksalternativen Studenten und eine traditionelle Familienfrau unkomplizierter zusammenführen als Maiglöckchenmuster, Bumerang-Fersen und Merinowolle? Für solche Begegnungen gibt es den World Wide Knit in Public Day (kurz: wwkip). Ins Leben gerufen hat ihn 2005 eine US-amerikanische – na klar – Garnproduzentin. Mittlerweile stricken Afficionados am zweiten Samstag im Juni an öffentlichen Plätzen von Island bis Portugal, von Kanada bis Mexiko. Der Tag ist, wie ein Blick in die einschlägigen Internetseiten zeigt, offen für jegliche weltanschauliche Interpretation: Wer zeigen will, dass Stricken jung und hip ist und nicht nur für Großmütter – willkommen! Wer friedlich gegen die Ungerechtigkeit in der Welt demonstrieren und dem entfremdeten Großstadtleben wieder einen Sinn geben will – nur zu!

In Oldenburg halten sich die politischen Impulse indes in Grenzen. Monty versetzt die Runde von mittlerweile elf strickbegeisterten Frauen und einem Mann mit ihren Koi-Socken in neidvolles Erstaunen. Die in Handarbeit gefärbte Wolle ergibt gestrickt das Muster eines Koi-Karpfens. Aber damit nicht genug: Von einem Freund hat sie sich knallbunte Knäuel aus den USA mitbringen lassen – für 34 Dollar das Stück. Was daran so besonders ist? Gaby zuckt die Schultern: „In Amerika sind sie so verrückt.“

Monty heißt eigentlich Petra. Hier haben viele die Nicknames aus ihren Blogs zusätzlich zum Vornamen auf die Namensschildchen geschrieben. Sabine kennt man aus dem Netz als „Quiltfee“, Günters Frau Iris alias „Annkari“ hat das Treffen in ihrem Strick-Blog organisiert, nicht zuletzt, um auf ihren wöchentlichen Stricktreff in Oldenburg aufmerksam zu machen. Der wwkip ist längst nicht das einzige Ereignis, das die Szene auch im richtigen Leben zusammenführt: Beim „Trainsocking“ wird ein Treffpunkt vereinbart und eine Sternfahrt mit Wochenendtickets dorthin organisiert. Im Zug wird natürlich gestrickt, dass die – nun ja – Socken qualmen. Dabei ergibt sich ganz schnell Gesprächsstoff mit Fremden, quer durch die Generationen. Gaby Hagen hat sich für solche Anlässe eigens ein mobiles Reise-Spinnrad angeschafft, zusätzlich zu den dreizehn anderen Modellen, die sie in Betrieb hat. Im Café „verzwirnt“ sie gerade einen Faden: Sie treibt das Spinnrad durch Treten mit beiden Füßen an. Schneller, als der laienhafte Betrachter gucken kann, wirbelt sie mehrere Wollfäden ineinander. Bei solchen Fingerübungen werden Bananensplits und überbackene Kartoffeln verputzt und Cocktails geschlürft. „Frauen können bekanntlich mehrere Dinge gleichzeitig tun“, sagt sie grinsend. ANNEDORE BEELTE