Das überschätzte Großereignis

Österreichisch für Fortgeschrittene: „Is nix los, feun olle. Is wos los, feun a olle.“ Meint: Etwas zu jammern gibt es immer. Die EM etwa hat den Wienern viele Besucher beschert, aber nicht das erhoffte Geschäft. Ob sie als Konjunkturmotor dienen kann?

AUS WIEN CHRISTINE ZEINER

Die Ringstraße. Das k. u. k Flair dominiert definitiv nicht mehr. Ein Teil des Prachtboulevards ist nun EM-Fanzone: rechts von uns auf dem Heldenplatz das Völkerkundemuseum – die Anubis-Figur, die für die Tutanchamun-Ausstellung wirbt, im überdimensionalen Österreich-Dress. Schräg dahinter die Reiterstatue Prinz Eugen. Erzherzog Karl aber, gegenüber, ist verschwunden: Ihn umgibt ein „VIP-Public-Viewing-Tower“ der Bankengruppe Unicredit, kein Pferdeschwanz, keine heroische Geste mehr zu sehen. Links erhebt sich Maria Theresia über ein Meer von roten Sonnenschirmen mit Meinl-Kaffee-Schriftzug. Ihre Feldherren Daun, Laudon, Traun und Khevenhüller sind abgetaucht, eingebunkert von der für Coca-Cola werbenden Plattform.

Dort, zwischen Kunst- und Naturhistorischem Museum, kann man nun Melange für 4,20 Euro trinken und sich ansehen, was sich so tut, den sportlichen Anubis an- und dem Gärtner beim Rasenmähen zusehen. Der Freund sagt: „Is nix los, feun olle. Is wos los, feun a olle.“ Soll heißen: In Wien regt man sich auf und jammert, immer. Diesmal ist man unzufrieden, weil was los ist, aber eben nicht genug.

Wirte jammern: „Schauen Sie sich nur um!“ Gähnende Leere sieht zwar anders aus, in der Kantine im Museumsquartier wie im Café Central oder Café Prückel. Weil es diesen Juni wegen der EM in Wien keine Kongresse gibt, bleiben aber die meist betuchten Kongressbesucher aus. Dafür kommen allerdings russische Fußballfans, und die gelten als ausgabefreudig. Und so manch einer, der zum Fußballschauen gekommen ist, nimmt auch die „Punk“-Ausstellung mit.

Andernorts hat man sich aber mehr erwartet, mehr Besucher, mehr Umsatz. In der offiziellen Uefa-Fanzone auf der Ringstraße hatten 20 Stände nach wenigen Tagen zugesperrt, 16 davon sind mittlerweile wieder vermietet. Die Standmiete liegt zwischen 12.000 und 40.000 Euro, der große Geldregen, der die wettmachen würde, ist für einige aber offenbar nicht eingetreten. Bei 4,50 Euro für einen halben Liter Carlsberg-Bier trinkt man dann vielleicht doch eines weniger. Und manche Standbetreiber hätten doch besser statt „Exotischem wie schwedischer Küche“ Fußballkompatibles wie Würstel angeboten, meint Wiens EM-Sprecherin Anja Richter.

Franz X. Brunner, Organisator des Plattform-Cafés auf dem Maria-Theresien-Platz, glaubt, dass die Erwartungen vieler Wirte von vornherein zu hoch gewesen seien: „Offensichtlich haben viele Gastronomen vergessen, dass die EM in zwei Ländern stattfindet“ – das sei ein Fehler gewesen. Zwischen Österreich und der Schweiz seien „verflucht hohe Berge, da reist man nicht einfach von hier nach dort als Fan“. Er selbst ist zufrieden mit seinem Bau – wenn auch er sich etwas mehr erwartet hätte.

Auch gesamtvolkswirtschaftlich waren die Erwartungen hoch: Von 160 Millionen bis mehr als 530 Millionen Euro an zusätzlicher Wertschöpfung war die Rede gewesen und von 10.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen, von denen 6.000 dauerhaft sein könnten. Denn als Faustregel gilt: Wächst das Bruttoinlandsprodukt um 1 Prozent, gibt es 20.000 Beschäftigte mehr. Doch das Wirtschaftsforschungsinstitut glaubt nicht an den Job- und Konjunkturmotor EM: „Die EM hat langfristig allenfalls positive Effekte auf den Tourismus“, sagt Ökonom Markus Marterbauer. „Die EM rettet uns nicht vorm Konjunkturabschwung.“ Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat nach der WM 2006 davon gesprochen, dass die konjunkturellen Auswirkungen „vollkommen marginal“ gewesen seien.

Gar nicht gejammert wird dafür bei der Unicredit und der Telekom Austria. Die hat sich das ganze Burgtheater gemietet und verköstigt dort täglich 600 Kunden und Society-Menschen. Die Werbebanner von Theater und Heldenplatz, wo die italienische Großbank eben Erzherzog Karl zugebaut hat, sind bei den Übertragungen europaweit zu sehen. Am Sonntag aber ist auch damit Schluss. „Dann“, sagt der Freund, „schaut’s hier wieder fast so aus wie vor 130 Jahren.“