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: Der Liebesforscher, der sich verliebt

Wieso ist das eigentlich so, dass die großen Geschichten über die Liebe meist vom Ende her gedacht sind? Brauchen die Geschichten die Endlichkeit der Liebe oder braucht die endliche Liebe eine Geschichte – ihre Geschichte? Beginnt man schon in dem Moment, wo man das Ende einer Liebe nur fürchtet, aus ihr eine Erzählung zu weben? Man könnte meinen, das sei einfach ein billiger Trick, der flüchtigen Liebe doch noch habhaft zu werden. Vielleicht wird das Erkenntnisinteresse von Liebenden aber auch unterschätzt. Vielleicht wohnt der Wunsch zu erkennen der Liebe geradezu inne.

In diesem Sinne wäre Colin ein wahrhaft Liebender. Sein Weg der Erkenntnis mutet allerdings zunächst seltsam an. Colin versucht nämlich ein System zu ergründen, nach dem sich vorhersagen lässt, wann eine Liebe zu Ende sein wird. Er teilt die Menschen ein in Sitzenlasser und Sitzengelassene und versucht Regeln zu erkennen, wen wann welches Schicksal ereilt. Das ist keineswegs so schlicht gedacht, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn je mehr Colin forscht und vergleicht, desto komplizierter wird sein Theorem, desto komplexer werden auch die Paare, die er analysiert, und desto interessanter wird der Forschungsgegenstand Liebe.

Nun ist Colin ein ungewöhnlicher junger Mann. Er ist so was von hoch-hochbegabt, dass man fast auf die Idee kommt, er könnte eine Art Pythagoras des 21. Jahrhunderts werden, der statt des Kathetensatzes den Satz der Liebe entdeckt. Was natürlich nicht funktioniert, weil der Liebesforscher sich verliebt, was seinen Erkenntnisdrang zwar keinesfalls mindert, aber ihn mit der Sehnsucht nach Kontrollverlust konfrontiert, die eben auch zur Liebe gehört. Man erfährt also viel Wissenswertes in diesem leichtfüßigen Roman des 29-jährigen New Yorker Autors John Green, der für den Erkenntnisdrang seines Protagonisten das amerikanische Erkenntnis-Genre schlechthin gewählt hat: das – literarische – Roadmovie.

Ein ganz anderes und mindestens genauso tolles Buch über die Liebe hat der Norweger Gunnar Ardelius geschrieben. Es trägt den wundersamen Titel: „Ich brauche Dich mehr als ich Dich liebe und ich liebe Dich so sehr“. Dahinter stecken hoch konzentrierte Momentaufnahmen aus dem Inneren einer Liebe, wie sie selbst – oder gerade – die Liebenden nicht wahrzunehmen vermögen. Was passiert da eigentlich: beim ersten Kuss, bei der ersten Liebesbeteuerung, der ersten Unachtsamkeit, dem ersten „Es ist so unfassbar schön, aber es kann doch nicht alles gewesen sein“. Da fräst sich die Vorstellung vom Ende der Liebe ganz filigran schon in ihren Anfang, man weiß nicht, woher das kommt und was das soll, weil doch alles so gut, einfach nur gut ist.

Ist das nun ein Jugendbuch? Anders als den Roman von Green kann man Ardelius’ minimalistische Wachstumskurve einer jungen Liebe mit ihrem unverhofften und unverständlichen Ende auch als Erwachsener lesen, ohne dabei nur an seine Kinder zu denken. Und das ist ja wirklich selten: Jugendbücher über die Liebe wirken aus der Elternperspektive oft so gewollt – gewollt naiv oder gewollt wissend. Aber Gunnar Ardelius schafft es mit seinen Szenen einer Jugendliebe, zu den Grundfragen der Liebenden, egal welchen Alters, vorzudringen.

ANGELIKA OHLAND

Gunnar Ardelius: „Ich brauche Dich mehr als ich Dich liebe und ich liebe Dich so sehr“. Aus dem Schwedischen von Maike Dörries. Friedrich Oetinger, Hamburg 2008, 112 Seiten, 9,90 Euro John Green: „Die erste Liebe (nach 19 vergeblichen Versuchen)“. Aus dem Englischen von Sophie Zeitz. Hanser, München 2008, 287 Seiten, 14,90 Euro