Knapp neben dem Rampenlicht

Der Hamburger Keyboarder Jean-Jacques Kravetz stürmte in den 70ern mit Bands wie Frumpy die Charts und tourt mit Peter Maffay und Udo Lindenberg. Nun hat er seine Geschichte aufgeschrieben und eine Stiftung zur Nachwuchsförderung gegründet

von MATHIAS BECKER

Jean-Jacques Kravetz eilt mit einem Koffer voller Knoblauch vom Flughafen zum Interviewtermin im Landhaus Walter im Hamburger Stadtpark. Er kehrt nie ohne Spezialitäten aus seiner Heimatstadt Paris zurück und reißt die Arme auseinander, um die Größe des Knollenzopfes in seinem Gepäck zu demonstrieren. „Wenn ich gleich zu Hause bin, klingeln fünf Minuten später die Nachbarn“, sagt er, grinst und drückt den Zigarillo aus. „Die wissen, dass ich immer was Leckeres mitbringe.“

Der Musiker mit dem langen, etwas schütteren Haar und dem breiten französischen Akzent ist sicher der Bürger von Jesteburg in der Nordheide, der am häufigsten Pressefotografen gegenüber stand. Auf der Terrasse des Landhaus Walter verteilt eine junge Bedienung mit Rastazöpfen Apfelschorlen und Milchkaffees. Sie erkennt Kravetz nicht und würde ihn auch nicht erkennen, wenn er hier ohne Sonnenbrille säße. Denn der 61-Jährige steht derzeit zwar rund 80 Mal im Jahr auf der Bühne, allerdings tut er dies meist im Schatten von Stars wie Udo Lindenberg oder Peter Maffay. Kravetz ist ein gefragter Keyboarder, der seit Jahren mit den Großen im deutschen Musikgeschäft tourt. Einer, der als „Sideman“ die Show mitträgt. Aber den Menschen unten im Publikum selten im Gedächtnis bleibt.

Seine Erlebnisse in der deutschen Rock-Szene hat Kravetz kürzlich in einem Buch zusammengefasst: „Jean-Jaques Kravetz – meine 40 Jahre in der deutschen Rockmusik“ berichtet aus Jazz-Clubs der späten 60er und von ZDF-Fernsehshows, die den Titel „Disco 71“ tragen. Es erzählt von seinen Erfolgsjahren mit Bands wie „Frumpy“, „Altlantis“ und „Randy Pie“. Und von seinen späteren Bühnenjahren mit Udo Lindenberg und Peter Maffay.

Kravetz warf vor 40 Jahren seine Habseligkeiten in einen Opel Kapitän und machte sich auf den Weg von Paris nach Hamburg, in die Heimat seiner damaligen Freundin. Allen Bedenken seiner Eltern zum Trotz und sehr zum Verdruss seiner Band, mit der er bereits zwei Alben draußen hatte. Da war er 19.

In Deutschland angekommen, stolpert Kravetz mehr oder weniger in die Fortsetzung seiner Musikkarriere. Er studiert am Konservatorium und finanziert sich als Botenjunge bei Axel Springer. Der Chef der damaligen Hörzu-Plattenfirma wird auf den Mann mit dem damals noch breiteren französischen Akzent aufmerksam und befördert ihn quasi aus einer Laune heraus zu seinem persönlichen Assistenten. Kurz darauf wird er Mitglied der „City Preachers“, die bei Springer unter Vertrag stehen.

Es folgen Erlebnisse in einer Zeit, in der Bands aus Kellerkneipen in Studios geholt werden, von Plattenlabels mit so klangvollen Namen wie „Phonogram“ oder „Polydor“. Und machen die einen keinen Vertrag locker, geht man halt zum nächsten. Es ist eine Welt, die mittlerweile begraben liegt in den Regalen von Vinylfreunden oder verramscht wird auf Flohmärkten. „Heute“, sagt Kravetz, „wird der gesamte Markt von einer Hand voll großer Labels und Banken gesteuert. Das macht es schwer für den Nachwuchs.“

Unglücklich ist er nicht über seine Rolle am Rande des Rampenlichts: „Ich würde mich unwohl fühlen mit einem bekannten Gesicht“, sagt er. Anders als viele seiner Kollegen, hat er die große Selbstdarstellung ebenso stets vermieden wie private Exzesse. Klar hat er mal gekifft. Klar waren die Tage und Nächte mit Udos „Panikorchester“ in Pernod getränkt. Aber für eine Karriere als Skandal-Rocker hat es nicht gereicht. Sollte es auch nicht. Was Kravetz wollte, war spielen. Nur einmal kommt in seinem Buch ein weißes Pulver vor, das ein Kollege ihm gegen akute Zahnschmerzen in die Hand drückt. Der Leidende reibt sich das Zahnfleisch damit ein, erfährt sofortige Linderung und später den Namen des Wundermittels: Kokain.

Wahrscheinlich ist es diese professionelle Distanz zum schönen und zerstörerischen Schein des Show-Geschäfts, die es ihm ermöglicht hat, der Nachwelt ein minutiöses Portrait seines Aufstiegs in Buchform zu hinterlassen. „Ich habe ein phänomenales Gedächtnis“, sagt er. „Und ich trenne mich ungern von Dingen.“ In seinem Haus sind die Wände mit „Gold“ und „Platin“ tapeziert und die Schränke und Schubladen mit Flyern, Zeitungsausschnitten und alten Terminkalendern gefüllt.

Parallel zum Buch hat er zehn seiner Lieblingsstücke für die Jubiläums-CD „40 Jahre Rockmusik in Deutschland“ neu eingespielt. Neben Lindenberg, Maffay und Inga Rumpf treten hier Kravetz‘ Söhne Pascal und Julien in Erscheinung. Beflügelt durch eine Kur, die ihn zwölf Kilo kostete, hat er Kraft für eine Tour und dafür, eine Stiftung namens „Entrée“ zu gründen. Dabei geht es darum, jungen Künstlern durch Fortbildungen auf die Beine zu helfen. Und den Kontakt zwischen jungen, unbekannten Musikern und etablierten Künstlern zu fördern. Denn Promis kennt Kravetz nicht nur, er kennt sich auch mit ihnen aus.

Jean-Jacques Kravetz spielt am 27. 7. mit Caro auf dem Duckstein Festival in Hamburg. Im Herbst ist er dann mit Udo Lindenberg auf Tour.