berliner szenen Das gesprochene Wort

Poetischer Striptease

Dort drüben rekeln sich Wortgespinste. Sie tänzeln und tanzen an der Stange herum, winden sich und umschlingen sie. Ein jedes Wort wird beim „SpokenWordBerlin“-Slam in einem Monolog gewirbelt. Orale Gymnastik. Schon fällt der erste Fetzen, ein Wortzipfel rieselt herunter. Es bricht heraus, das gesprochene Wort. Und es folgen weitere Ergüsse. Und die Wörter rekeln sich an der Stange empor, die Hände umgreifen sie ganz fest, den temporären Liebhaber, dem man nur zeitweilig eine Stimme einhaucht. Hör hin, die Wörter, sie werden begleitet von tiefen Seufzern und schwerem Ächzen. Ein Rascheln. Und dann fällt auf den Boden das beschriebene Blatt. Stimmen hallen durch den Raum. Sieh hin, die Blicke, die eindringlicher werden, und die Arme, die sich ausstrecken, nach dir? Schweißperlen bilden sich auf der Stirn. Der Ausbruch naht. Die Stange, sie wird gedrückt und erdrückt, verkleinert und wieder vergrößert, wie ein fließendes Gummi. Und die Hände fassen sie fester an. Die Hüllen von Papier mehren sich. Unbeachtet liegen sie auf dem Boden, als hätte ihre Gültigkeit nur im Gesprochenen Bestand. Es kommen die Nächsten auf die Bühne. Wenige Minuten, dann wird mit dem ersten Wort das nächste Blatt verlesen. Die Stimme füllt den Raum, und verdunstet zugleich, denn es kommen mehr. Gefechte von Worten. Kraftvoll ist das eine, das andere mickrig. Der eine spricht vom schweren Leben, der Nächste von kleinen Bettgeschichten. Es wird vergossen und verkotzt, das gesprochene Wort. Es wird verwurstet und verkorkst, verletzt und verarztet. Dann steht plötzlich nur die nackte Leere da. Nur die Stange erinnert an diese eine Zeit. Sie wartet, bis der Nächste das Wort auf sie legt und mit ihr die Stimme hebt.

MARYAM SCHUMACHER