Grenzen des neuen Sounds

Weil Shahram Sharbaf zu westlicher Musik Texte des persischen Dichters Hafez singt, darf er im Iran nicht auftreten. In Berlin startet der Gitarrist eine Homepage mit Underground-Musik aus dem Iran

Die Veröffentlichung der CD verboten die Tugendwächter. Änderungen halfen nichts: O-Hum sollten noch langsamer spielen

VON JÖRG BRAUSE

Dem Foto nach zu urteilen erwartet man einen ernsten und introvertierten Menschen. Weit gefehlt, wie sich schon bei der Begrüßung herausstellt. Shahram Sharbaf schlägt die Hand mit einem Lächeln ein. Und überhaupt lächelt er viel, während der iranische Rocksänger von seiner Arbeit erzählt. Die eindringlich tiefe Stimme steht in einem eigenartigen Kontrast zur zierlichen Erscheinungen des 34-Jährigen. Sein kahler Schädel macht ihn etwas älter. Rosafarbene Brillengläser verbergen die Augen.

Im Iran zählt der Sänger aus Teheran mit seiner 1998 gegründeten Rockband O-Hum zu den Stars der Underground-Szene. Ungewöhnlich für westliche Ohren klingt der Mix aus Rock und persischen Instrumenten, die einen zarten Kontrapunkt zu den harten, lauten elektronischen Sounds und dem schnellen Stakkato des Schlagzeugers bilden. Mit fast besinnlichen Tönen setzen seine Songs ein, bis sich alles zu einer wilden Raserei steigert.

Als Bandleader spielt Sharbaf Gitarre und singt. Das klingt dann so, als halle seine Stimme wie ein dumpfes Echo aus einer tiefen Schlucht herauf. Darunter sind Zeilen wie „Ich sagte: ratlos bin ich deinethalben“ des persischen Dichters Hafez, zu dessen Gedichten er in die Saiten greift. Aufgenommen hat er das Stück für das Album „Hafez in Love“ 2002. 800 Jahre alte Verse, ist das nicht ein bisschen weit hergeholt für Rocksongs? Gewiss nicht, wendet der Sänger ein, für ihn sei Hafez wie ein Zeitgenosse. „Er spricht über dieselben Probleme, die der Iran noch heute hat.“ Nicht nur über Liebe dichtete Hafez, er habe auch soziale Ungerechtigkeit kritisiert, sagt Shahram Sharbaf. Etwas daran zu ändern, eine ehrlicheren Blick auf das Leben im Iran zu gewinnen, darum gehe es auch ihm mit seinen Liedern.

Der bisher einzige Auftritt der Band im Iran fand in einer orthodoxen Kirche im Zentrum Teherans statt. „Rockkonzerte sind im Iran strengstens verboten. Deshalb planten wir den Auftritt als eine private Veranstaltung“, berichtet Shahram Sharbaf. Eine verrückte Idee sei das gewesen. Am Ende hätten sie im Gefängnis landen können. Zu laut und zu schrill für die Ohren des Ershad, des Ministeriums für Kultur und islamische Führung, das die Songs als zu politisch einstufte und damit für die islamische Republik unangemessen, erzählt der Musiker. Schon die Veröffentlichung einer CD, für die es bereits einen Vertrag mit einer Plattenfirma gegeben habe, verboten die Tugendwächter. Da halfen auch einige Änderungen nichts, um Entgegenkommen zu zeigen. O-Hum sollten noch langsamer singen und etwa auf das Saxofon verzichten. Nur, weil die Kirche im Iran einen gewissen kulturellen Schutzraum bot, gab es wohl keine Verhaftungen. Aber bei einem Auftrittsverbot blieb es bis heute. Weder wird O-Hum-Musik im Radio gespielt, noch werden ihre Platten im Handel verkauft.

Sieben Jahre liegt der Auftritt nun schon zurück. Immer wieder schlug sich Shahram Sharbaf als Tontechniker für verschiedene Bands und Musiker und als Musikproduzent im Untergrund durch. Das eigene Bad funktionierte er in ein Studio um. Die politischen Sanktionen hindern den Künstler bis heute nicht, an seinem eigensinnigen Lebensweg festzuhalten. Freiräume nutzen zu können mag auch eine Erklärung dafür sein, dass der Rocksänger dennoch ein optimistischer Mensch geblieben ist, dem man im Gespräch, anders als auf dem Foto, die Sorgen nie anmerkt. Über Teheran sagt er, die Stadt sei ein verrückter Mix aus Tradition und Moderne, bestimmt vom religiösen Leben. „Viele machen sich da was vor, sind nicht sie selbst, während andere sich Vorteile verschaffen im Namen Gottes und der Liebe. Auf diese Probleme werfe ich einen neuen Blick mit meinen Songs.“

Auf drängende Fragen also, die in der iranischen Gesellschaft totgeschwiegen würden. Über Gefühle oder Enttäuschungen, all den Ärger im Leben, alles, „über das man nicht spricht“. Und das sich auch im Gespräch nicht genauer einkreisen lässt, obwohl Shahram Sharbaf fließend Englisch spricht. Über die drückend empfundenen Einflüsse der Religion, vor denen er mit der Entdeckung westlicher Musik habe ausweichen können, schweigt er. Videos von MTV inspirierten ihn vor 15 Jahren, selbst Musik zu machen. „Ich bin nicht in einer streng religiösen Familie aufgewachsen. Und Teheran ist eine große Stadt, in der es auch Spielräume gibt für einen ungezwungeneren Lebensstil. Ich gehe auf Partys, schaue mir Videos an, höre Musik, das geht alles. Man kann schon wie ein Europäer leben“, sagt der Musiker.

Zu seiner guten Laune trägt sicherlich die Arbeit an seinem neuesten Projekt bei. Zusammen mit seinem Musikagenten Hesam Ayatollahi hat er einige Aufnahmen eingespielt für eine neue Musikplattform im Internet. Das in Berlin erstellte und produzierte Musiklabel „Zabtesot“ geht in diesen Tagen an den Start. „The new sound of Iran“ lautet der Titel der ersten Zusammenstellung. Nur das Internet biete eine Chance, im und vor allem über den Iran hinaus bekannt zu werden, wie es O-Hum vorgemacht habe, meint Shahram Sharbaf. „Viele der iranischen Underground-Bands haben noch gar kein Gespür dafür, wie sie sich professionell vermarkten können. Dabei hilft unsere Plattform, mit der wir die Künstler auch in Europa und den USA bekannt machen wollen.“ Den Erfolg von O-Hum wollen die Produzenten mit Zabtesot im Internet wiederholen. Eine neue Perspektive für iranische Underground-Musiker, die ihnen hilft, die engen Grenzen des Gottesstaates zu überwinden.

www.zabtesot.com/, www.o-hum.com/