„An das Missionarische glauben“

Alle reden davon, und Kampnagel jetzt auch: Matthias von Hartz, Leiter des am Donnerstag beginnenden Sommerfestivals auf der Hamburger Experimentier-Tanz- und Theaterbühne, erklärt, warum er den Klimawandel zum Schwerpunkt erkoren hat

MATTHIAS VON HARTZ, 38, Ökonom und Performer, leitet seit 2007 Kampnagels Sommerfestival

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Herr von Hartz, warum muss jetzt sich auch noch das Kampnagel-Sommerfestival dem Klimawandel widmen? Ist es nötig, sich dem Mainstream so anzubiedern?

Matthias von Hartz: Anbiedern? Finde ich nicht. Das Interessante am Klima-Thema ist, dass es sehr viel tiefer reicht, als es der Mainstream diskutiert. Denn da steckt ja nicht nur die Frage nach Kohlekraftwerken und neuen Glühbirnen drin, sondern auch die nach der Klimagerechtigkeit – und danach, wie der Welthandel funktioniert. Auf der letzten Klimakonferenz in Bali etwa ging es um Technologie-Transfer: Geben die Industrienationen den Entwicklungsländern ihre Technologie, mit der sie Energie sparen können? Da hieß es plötzlich: Die könnt Ihr haben, aber das kostet selbstverständlich Geld. Und dann ist man schnell bei der Diskussion über Welthandel und Entscheidungsstrukturen. Trotzdem stellt sich für uns natürlich die Frage, wie wir das Thema abhandeln, sodass man uns nicht mit der CDU verwechselt.

Und zwar?

Wir haben mit Klaus Töpfer, Hermann Scheer und Harald Welzer Referenten eingeladen, die recht radikale Positionen vertreten. Bei ihnen geht es um künftige Klimakriege, um nachhaltigen Klimaschutz und um eine mögliche solare Weltgesellschaft. Hinter letzterer steht ein partizipatives Demokratiemodell, von dem in der CDU sicher niemand denkt, dass es etwas mit Klimawandel zu tun haben könnte.

Ist Partizipation hier nicht ein Auslaufmodell, weil jeder glaubt, er könne ohnehin nichts tun?

Ich glaube, es ist anders herum: Dadurch, dass die Regierung so tut, als sei sie aktiv, denken alle, das reiche vollkommen aus. Andererseits hat ja das geplante Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg durchaus Menschen zum Protest mobilisiert. Das Potential ist also da.

Und Ihre Rolle? Künstlerischer Missionar sein?

Zu schauen, was Kunst zu diesem Thema sagen kann – dazu muss ich natürlich erstmal an das Missionarische glauben – und dann Künstler mit interessanten Positionen einzuladen, die nicht nur den Klima-, sondern auch den dahinter liegenden kulturellen Wandel beleuchten.

Zum Beispiel die Installation von „Stan‘s Café“, bestehend aus verschiedenen Reishaufen...

Das ist eine Installation zwischen Konzeptkunst und Sand World: eine riesige Ansammlung von Reis, monumental und poetisch zugleich. Jedes Reiskorn steht für einen Menschen, und verschieden große Haufen symbolisieren gesellschaftliche Konstellationen. Das klingt jetzt ein bisschen wie der museumspädagogische Dienst, aber so sieht es nicht aus. Ich halte das vielmehr für eine sehr intelligente Arbeit, die auf einem sehr direkten Niveau – Statistiken nämlich – ökologische, ökonomische und soziale Verhältnisse anzeigt und außerdem ein sinnliches Erlebnis ist.

Ein Beispiel?

Das simpelste Beispiel in Sachen Klimawandel: Ein einzelnes Reiskorn – ein Europäer oder Amerikaner – liegt neben einem Haufen, Leuten aus Eritrea zum Beispiel. Beide Gruppen verbrauchen pro Tag gleich viel Energie.

Und in Meg Stuarts „Blessed“ gibt es Dauerregen auf eine Papp-Welt?

„Blessed“ arbeitet mit einfachen Bildern: Da lebt einer in einem kleinen Inselparadies, mit Palme und so. In diese Welt bricht die Katastrophe in Form von Dauerregen ein. Dadurch, dass alles aus Pappe ist, verliert der Mann alles, was er hatte; es wird zusehends unförmiger. Zunächst hält man es noch für ein Ferienhaus, dann für eine Abort-Hütte, und am Schluss bleiben nur Pappe und Schlamm. Man kann an New Orleans denken, an den Tsunami. Allerdings gibt es immer neue Versuche, aus der Situation etwas Neues zu machen. Denn das Stück beginnt ja nicht als Katastrophe.

Aber das Stück „End“ ist die Katastrophe.

Das wird in der Tat kein lustiger Abend. Sondern eine Ansammlung apokalyptischer Bilder, die aus Mythologie, Geschichte und aktuellen Medienberichten stammen. Kris Verdonck, der das Stück gemacht hat, ist kein Regisseur, sondern bildender Künstler, und das spürt man: „End“ funktioniert nicht über einen Plot, sondern über starke Einzelbilder: Leute fliegen vorbei, ziehen Leichensäcke durchs Bild, sind immer in Bewegung: auf der Flucht vor irgendeiner Katastrophe. Eine beständige Endzeit ohne Erlösung, ein ewig währendes Karussel. Und man muss sich ganz schön anstrengen, um da runterzukommen.

Inszeniert da einer die eigene Hoffnungs- und Machtlosigkeit? Und warum eigentlich?

Weil Kunst nicht erbauen oder Probleme lösen, sondern sich mit den Zuständen auseinander setzen soll. Indem sie mythische, historische und aktuelle Katastrophen nebeneinander stellt und ins Verhältnis setzt. Da steht dann plötzlich der 11. September neben dem Untergang von Troja. Das ist dann natürlich keine Geschichte über Hoffnung.

Haben die heutigen Katastrophen eine andere Qualität als die früherer Jahrhunderte?

Was den Klimawandel betrifft: Er ist greifbarer – auch greifbarer etwa als die Atomunfälle, gegen die wir demonstriert haben und die zum Glück fast nie eintraten. Die Auswirkungen des Klimawandels dagegen kann man heute überall selbst erleben. Wir haben zu unserem Experten-Abendessen auf Kampnagel zum Beispiel einen Deichwart eingeladen, der Veränderungen während der letzten fünf Jahre sehr genau beobachten konnte und sich auf die kommenden Sturmfluten vorbereiten muss. Man muss nicht weit gehen, um zu sehen, dass grundlegende Funktionen aus dem Ruder laufen.

Ist die Schuldfrage für Sie als Künstler von Interesse?

Sie ist vor allem allgemein von Interesse, wenn es um Handlungsoptionen geht: Wenn wir glauben, dass wir die Verursacher des Klimawandels sind und nicht die Saurier, werden wir auch bereit sein, uns zu verhalten. Wenn es nur darum ginge, ein meteorologisches Phänomen zu beobachten, wäre das Thema für mich nicht interessant.

Ist der Klimawandel für Sie das Symptom eines globalen Demokratiedefizits?

Letztlich ja. Denn im direkten Zusammenhang damit steht ja zum Beispiel die Nahrungsmittelkrise: Parallel zur Reisknappheit vor einigen Monaten hat die WTO angemerkt, dass man von der industriellen Landwirtschaft wegkommen muss, um diese Probleme zu lösen. Einfach, weil industrielle Monokulturen zu unflexibel sind, um auf Klimaschwankungen zu reagieren. Der Kleingarten hat da eine ganz andere Toleranz. Die Lösung scheint also tatsächlich in der kleinen Parzelle zu liegen. Einige davon gibt es ja schon. Die reichen von der Kommune in der Eifel bis zur Wasserversorgung im brasilianischen Porto Allegre. Dort wurde die lokale Energieversorgung auf die kommunale Ebene zurückgeholt. Dieses Modell könnte Schule machen, wenn immer mehr Menschen sagen: Es hat keinen Sinn, regenerative Energien über zentrale Netze zu verschicken. Also koppeln wir uns als Kommune vom Energieversorgungskonzern ab und sorgen für uns selbst. In all diesen Beispielfällen sind darüber neue politische Strukturen entstanden. Denn wenn jeder ein Windrad im Garten hat, hat er natürlich ein ganz anderes Interesse daran. Da sind Partizipationsmomente entstanden, die es vorher nicht gab. Und die sind weitaus demokratischer als die Struktur, in der wir gerade leben.

Hieße die Lösung also: Zurück zum Dorf, ganz archaisch?

Man sagt es ungern, weil es klingt wie ein biederes „Zurück zu Scholle“. Aber ich glaube, das ist es, ja.

Während des Kampnagel-Sommerfestivals (14.–31. 8.) werden zum Klimawandel referieren: Harald Welzer (19. 8., 20 Uhr), Claudia Kemfert (20. 8., 20 Uhr), Klaus Töpfer (22. 8., 19 Uhr) , Hermann Scheer (23. 8., 20 Uhr). Abendessen mit Experten-Tischreden: 24. 8., 19 Uhr. www.kampnagel.de