Unsere Kiffer-WG

Die lieben Nachbarn (2)

Die WG über uns baut auf ihrem Balkon Cannabis an. Das sieht nett aus und dient außerdem als Sichtschutz. Sie scheinen einen grünen Daumen zu haben. Das Zeug wuchert. Mit der Pflege der Pflanzen nehmen sie es sehr genau. Sie gießen das Grün zweimal täglich so gründlich, dass ein Wasserschleier auf unseren Balkon niedergeht und wir unsere Tomaten nicht mehr selbst gießen müssen. Das spart uns Wasser und Arbeit.

Überhaupt ist die WG sehr großzügig in der Verteilung ihrer Ressourcen. Sie benutzen keine Aschenbecher, sondern schnippen ihre Asche über die Balkonbrüstung direkt in unsere Salatschüssel. Neulich jedoch hatte die WG Pech. Da verabschiedete sich eine Ressource ganz unbeabsichtigt. Ein Balkonkasten, voll mit üppigem Grün, kippte über die Brüstung. Der Inhalt verteilte sich gerecht auf die anderen Hausbewohner: Auf unseren Balkon fiel die Erde, und im Fahrradkorb der Erdgeschossmieterin, die gerade Mittagspause hatte, landete das Grün. Wir ließen die Erde sofort unseren Tomaten zukommen, – so sparten wir den Weg zum Gartencenter –, aber die untere Mieterin war nicht so glücklich mit ihrem Anteil. Sie arbeitet bei der Drogenberatungsstelle für Kinder und Jugendliche und fand es problematisch, mit einem Korb voll Cannabis dort anzurollen.

Auf ihre Aufforderung, die Pflanzen aus ihrem Fahrradkorb zu entfernen, reagierte die WG verständnislos. Sie hätten gerade keine Zeit, teilten sie ihr mit. Ein paar Minuten später ging ein Wasserschleier nieder, der auch die ausgelagerten Pflanzen im Fahrradkorb nicht vergaß. Die Suchtberaterin riss wütend den Fahrradkorb vom Lenker und schleuderte ihn in den Garten. Dort liegt er bis heute.

SANDRA NIERMEYER