Mit Kalinka nach Kuba

Der ostdeutsche Musiker Helmut Schneider war mit der Gruppe Color Berlin eine Zeit lang auf Weltreise mit dem Vergnügungsdampfer „Arkona“

Im Sommer 1986 hieß es endlich „Leinen los“ am Kai von Warnemünde – Kurs Nord. Wir spielten auf dem Oberdeck „Muss ich denn zum Städtele hinaus“ und hatten nasse Augen.

Als Band auf diesem Luxusliner zu fahren war nicht selbstverständlich. Entsprechende Überprüfungen musste man schon über sich ergehen lassen, bis man „Reisekader“ wurde. In unserem Fall nahm dieser Prozess ganze vier Jahre in Anspruch! Und nun also – endlich – die erste Reise durch die norwegischen Fjorde.

Ähnliche Glücksmomente durchlebten die Passagiere. Die Stimmung war einfach traumhaft. Da spielte es auch keine Rolle, dass es während der zehn Tage keinen Landgang gab. Diesen Wermutstropfen versüßten die für DDR-Bürger ungewohnt freundliche Bedienung, das ausgezeichnete Essen, das luxuriöse Ambiente und nicht zuletzt das kulturelle Angebot auf dem Schiff. Für uns fünf Musiker und die Sängerin hieß es nicht nur, unser Publikum zu gewinnen, sondern auch die Mannschaft und vor allem den Oberzahlmeister. Der, das lernten wir ganz schnell, ist so was Ähnliches wie der liebe Gott an Bord.

Und es gelang uns tatsächlich bravourös. Wir hatten seinerzeit einen vergleichsweise ganz schön modernen Sound, spielten Hits von Smokie, Modern Talking und James Last. Doch vor allem mit unserer Show bei der Abschiedsgala konnten wir punkten. Als Höhepunkt hatten wir eine fünfzehnminütige musikalische Reise um die Welt angeboten, bei der unsere Sängerin mit unglaublich vielen Kostümwechseln verblüffte. Als dann unser Saxofonist als russische Matroschka zu den Klängen der „Kalinka“ über das Parkett schwebte, bedankten sich die Zuhörer mit rasendem Applaus. Entsprechend positiv fiel dann unsere Beurteilung aus, und weitere Reisen folgten.

So schipperten wir im Anschluss durch die Ostsee von Rostock nach Helsinki, Leningrad [heute wieder: St. Petersburg], Tallinn und Riga. Oder nach Kuba und zurück – aber auch wieder in den hohen Norden nach Island und Spitzbergen.

Die angenehme Seite dieser Fahrten waren das gepflegte Umfeld – wir schliefen in Zweibettaußenkabinen im B-Deck –, das gute Essen in der Mannschaftsmesse, das Kennenlernen fremder Städte und Länder. Und natürlich die zollfreien Zigaretten und Schnäpse – eine Schachtel Club kostete seinerzeit 60 Pfennig. Weniger schön waren die extrem langen Spielzeiten. Täglich zwei Stunden Aufspielen zum Kaffee und dann noch mal fünf volle Stunden am Abend, der mit einer Show der mitgereisten Künstler anfing, gingen vor allem bei langen Reisen auf die Knochen.

Bei solch einer sechswöchigen Reise nach Kuba im Winter erlebten wir Windstärke zwölf und einen Orkan von solcher Heftigkeit, dass uns das Spielen fast verging. Das Schlagzeug war mit Acht-Zoll-Nägeln am Bühnenboden festgenagelt, die Boxen waren vertäut, wir Musiker versuchten, irgendwie Halt zu bekommen – und unsere Sängerin tauschte ihre Pumps lieber gegen Turnschuhe. Aber, oh Wunder, keiner wurde seekrank!

Nach diesem Sturmtörn bedankten sich sogar der „liebe Gott“ (an Bord offiziell „Oberzahlmeister“ genannt) nebst Käpitän mit einer Flasche Champagner bei uns. Und mit dem Versprechen, dass wir jederzeit wieder aufsteigen könnten.

Nun, wir sind dann doch lieber an Land geblieben.

HELMUT SCHNEIDER, Jahrgang 1937, war Chef der beschriebenen Band Gruppe Color Berlin, die sich mit der Wende auflöste. Heute spielt er im Blasorchester Oranienburg und ist Leiter der Freizeitrentnerband Sechs Richtige