Gerichte machen Schule

Bremens Gesamtschulen und Gymnasien haben Dutzende von SchülerInnen abgewiesen. Aber das Verfahren bei der Aufnahme in die 5. Klasse war in vielen Fällen rechtsfehlerhaft, finden die Gerichte

Von Klaus Wolschner

Wer darf auf welche weiterführende Schule gehen? Dieses Thema beschäftigt seit Wochen die Bremer Gerichte. „Wir hatten 51 Eilverfahren“, sagt Richterin Anette Ohrmann vom Verwaltungsgericht. 27 davon liegen derzeit auch in der Berufungsinstanz beim Oberverwaltungsgericht (OVG). Gestern hat das OVG mitgeteilt, dass die Gesamtschule West drei, das Alte Gymnasium elf weitere Fünftklässler aufnehmen muss, die vor dem Verwaltungsgericht mit ihrer Klage zunächst keinen Erfolg hatten. Beim Kippenberg-Gymnasium hatte das Verwaltungsgericht der Klage von 13 Schülereltern stattgegeben, das OVG entschied nun aber, dass vorerst nur drei am Donnerstag aufgenommen werden müssen.

Das Problem: Das bremische Schulrecht kennt das „freie Elternwahlrecht“ für weiterführende Schulen und schreibt einigermaßen präzise ein Verfahren vor, nach dem die Schule über die Aufnahme entscheiden muss, wenn es mehr Anmeldungen als Plätze gibt. Aber die betroffenen Gesamtschulen und Gymnasien haben dagegen in grober Weise verstoßen.

Beispiel Altes Gymnasium: Elf Kläger-Kinder wurden mit dem Argument abgewiesen, dass die vorgesehenen Klassenräume zu klein seien. Zwei Quadratmeter pro Kind und 10 Meter vor der Tafel sind der höchstrichterlich festgelegte Maßstab. Die vorgesehenen Räume reichen für 30 Regelkinder und nicht für zusätzliche 3 Kinder als „Überlast“, sagte die Schule. Das Verwaltungsgericht fand das überzeugend. Aber warum hat die Schulleitung die vorhandenen größeren Räume den sechsten Klassen und nicht den neuen fünften Klassen zugeteilt, fragte Anwalt Matthias Westerholt in seiner Beschwerde. Das OVG hat der Beschwerde stattgegeben, das AG muss am Donnerstag alle elf Kinder aufnehmen.

Auch bei der GSW müssen drei SchülerInnen, deren Eltern vors OVG gegangen waren, aufgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hatte noch akzeptiert, dass an der GSW nur 22 Schüler in eine Klasse sollen, obwohl die Schulbehörde als rechtliche Vertreterin der Schule „keine konkreten Erkenntnisse“ über den Platzbedarf in einer Gesamtschule vortragen konnte. Das OVG fand, das sei zu dünn für die Begründung einer Ablehnung.

Im Falle des Kippenberg ist die Sache komplizierter. In den Richtlinien der Schulbehörde ist festgelegt, dass an der Entscheidung über Härtefälle nur zwei Personen teilnehmen dürfen: der Schulleiter und der Elternvertreter. Damit das Schulzuweisungsverfahren gerichtlich überprüft werden kann, muss es ordentlich dokumentiert sein. Das Kippenberg-Gymnasium hat sich offenbar einen Teufel um Recht und Gesetz geschert: Es haben vier Personen an der Auswahl teilgenommen, die „Dokumentation“ ist für das Gericht nicht nachvollziehbar. Auf Nachfrage des Verwaltungsgerichtes meinte die Behörde, der ebenfalls anwesende stellvertretende Schulleiter sei nur „beratend“ dabei gewesen – was auch ein Verfahrensverstoß wäre. Allerdings hat der Stellvertreter das Protokoll unterschrieben und die Auswahl-Entscheidung gegenüber Eltern vertreten, stellt das Gericht bitter fest. Wurde da gegenüber dem Gericht gelogen?

Drei „Härtefall-Anträgen“ hat das Kippenberg stattgegeben, die offenkundig nach den Vorschriften der Behörde die Voraussetzungen nicht erfüllen: Obwohl die „Geschwisterkinderregelung“ seit Jahren als rechtwidrig abgeschafft ist, wurden Härtefälle damit begründet. In einem Fall gaben Eltern an, eine weitere am Auswahlverfahren beteiligte Person – offenbar eine Lehrerein – habe ihnen geraten, als Argument für einen Härtefall eine „lange musikalische Vorbildung“ anzugeben. In einem Fall, der offenkundig kein Härtefall nach den Richtlinien der Behörde ist, habe sogar das Schulamt geraten, einen Härtefallantrag zu stellen, schrieben die Verwaltungsrichter in ihr Urteil und verdonnerten die Schule, alle 13 Klägerkinder aufzunehmen. Die „Härtefälle“ dürfen bleiben.

Die Schulbehörde hat die Argumentation des Gerichtes nicht angefochten, nur gegen die hohe Zahl mit Hinweis auf den knappen Platz Beschwerde eingelegt: Wenn drei Härtefälle fehlerhaft aufgenommen wurden, seien nur die drei Kläger mit dem kürzesten Schulweg durch die Verfahrensfehler benachteiligt. Platz für 13 sei nicht. Dem folgt das OVG zunächst.

In drei weiteren Beschwerdeverfahren von abgewiesenen Schülern der GSM, des Gymnasiums Vegesack und der Stadtteilschule Leibnitzplatz muss das OVG noch rechtzeitig bis zum Schulbeginn am Donnerstag eine Eilentscheidung treffen. Für die Hauptsache-Verfahren bleibt ein weiteres grundsätzliches Problem, das die Anwälte vorgetragen haben: Wenn die Länge des Schulweges ein Kriterium bei der Aufnahme von SchülerInnen ist, dann sei es nicht sachgerecht, wenn die Behörde einfach mit einem Zollstock auf dem Stadtplan die Schulweg-Länge misst. Dass ein Schulweg nach Luftlinie kurz ist, besage nicht immer etwas über den tatsächlichen Schulweg. Wenn ein Schüler aus der Neustadt zum Beispiel in die Gesamtschule Mitte gehen will, sagt die Luftlinie nichts über die Länge des Schulweges. Das Kriterium des Zentimetermaßes ist aber in einer Richtlinie der Bildungsbehörde festgeschrieben. Bisher sei diese Richtlinie von einem bremischen Gericht nicht problematisiert worden, sagt Richterin Ohrmann, das könne aber durchaus im Hauptsacheverfahren passieren.