Nicht mehr fluffig gezuckt

Christina Obergföll muss zwei 70-Meter-Würfen der Konkurrenz hinterherschauen, gewinnt aber immerhin Bronze. Die Russin Abakumowa steigert ihre Bestleistung um verdächtige vier Meter

AUS PEKING MARKUS VÖLKER

Der Wettbewerb hatte um 19.20 Uhr Pekinger Zeit begonnen. Er schien um 19.24 Uhr entschieden zu sein. Doch im letzten Versuch schleuderte die tschechische Weltmeisterin Barbora Spotakova, 27, den Speer zum Olympiasieg hinaus in den verregneten Pekinger Abendhimmel. Er pikste hinein in die gelbe Weltrekord-Markierung. Sie blieb dann aber doch unter der Bestmarke der Kubanerin Osleydis Menendez (71,70 Meter). Der Wurf der Tschechin wurde mit 71,42 Meter gemessen. „AR“ stand in der offiziellen Ergebnisliste hinter der Weite der Tschechin, was Anabolika-Rekord heißen könnte, doch wahrscheinlich ist „Annual Record“ gemeint, Jahresbestweite.

Lange Zeit sah es nicht nach einem Favoritensieg aus. Die russische Werferin Maria Abakumowa hatte den Speer gleich zu Beginn mit Schmackes beschleunigt, 69,32 Meter weit segelte er. Im fünften Versuch steigerte sie die Weite auf nasser Tartanbahn sogar noch auf 70,78 Meter: Europarekord und nur 92 Zentimeter entfernt vom Weltrekord der Kubanerin. Nicht einmal ihre blaue Trainingshose hatte die auffällig muskulöse Athletin ausgezogen. Es sah aus wie eine lockere Trainingseinheit. Sie hat ihre persönliche Bestleistung im wichtigsten Wettwerfen ihres Lebens mal eben um fast vier Meter gesteigert. Wie zu erfahren ist, kommt die Russin aus Stawropol, 250 Kilometer von Sotschi entfernt. Sie ist 22 Jahre alt und scheint sehr viel Zeit in der Kraftkammer zu verbringen.

Vor einem Jahr beim Golden-League-Meeting in Berlin hatte die Russin nur 60,40 Meter weit geworfen. Sie war meist im Mittelfeld gelistet. Gestern hat sie Silber gewonnen. Es hatte freilich auch eine deutsche Aspirantin auf den Titel gegeben, Christina Obergföll. „Ich muss echt zufrieden sein mit Bronze“, sagte sie nach dem Wettbewerb. „Es hat heute nicht alles gestimmt, ich habe etwas verkrampft.“ Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) verbuchte seine erste Medaille bei den Sommerspielen in Peking. Heilfroh ist er darüber.

Obergföll glückte eine technisch sauberer erster Versuch, 66,13 Meter weit, dann plagte sie sich mit Problemen herum. Der Speer flog nach rechts, landete zweimal sogar außerhalb der Begrenzung. „Christina hat schnelle Füße, einen schnellen Arm und eine gute Rumpfmuskulatur“, sagte ihr Trainer Werner Daniels im Vorfeld zwar, aber er wusste auch, dass es ihr nicht immer gelingt, den Speer im optimalen Winkel abzuwerfen. Dazu muss der Wurfarm nah am Ohr vorbeizischen. Sie beging einen alten Fehler.

„Die Speerspitze ist mir total weggelaufen“, erklärte sie, „so verschieße ich mein ganzes Pulver.“ Als sie die Russin werfen sah, sei sie ein bisschen nervös geworden: „Ich war dann nicht mehr fluffig auf den Beinen und im Arm konnte ich nicht mehr zucken.“ Sie und die fünftplatzierte Steffi Nerius (65,29 Meter) gönnten der Tschechin den Sieg: „Gut, dass sie die Russin noch abgefangen hat, Spotakova ist wirklich supernett“. So ganz geheuer war ihnen der Leistungssprung der Russin offenbar auch nicht. Spotakovas Weite beargwöhnten sie derweil nicht. „Wenn es 75 Meter geworden wären, hätte ich mir ein paar Gedanken gemacht“, sagte Nerius. „Aber so.“