Fetisch, Grauen, Niedlichkeit

Ein Geburtstagsgeschenk für die Königin des Pop. In einem Lesemarathon, unterstützt von vielen Musikern, Künstlern und Autoren, stellten Sandra und Kerstin Grether am Wochenende das Buch „Madonna und wir. Bekenntnisse“ vor

Der Musikautor Thomas Groß stellte die ganz große Frage: „Sind die Madonnaisten die neuen Dylanologen?“

VON STEPHANIE WURSTER

Die Queen des Pop ist gerade 50 geworden, drosselt deswegen aber noch lange nicht die Geschwindigkeit. Der Vertrag, den sie letztes Jahr mit dem Konzertveranstalter Live Nation abschloss, verpflichtet sie für drei Studioalben und vier Tourneen in den nächsten zehn Jahren. Ihrem langjährigen Label Warner, das sie für den einträglichen Deal verließ, schuldet sie noch ein Album. Wenn alles so läuft wie geplant, dann wird Madonna mit 60 also ihr 16. Album herausgebracht haben, natürlich mit den heißesten Produzenten der künftigen Gegenwart eingespielt. Sie wird noch einiges mehr als die neulich vom Wirtschaftsmagazin Forbes geschätzten 325 Millionen Dollar besitzen. Und nicht nur das: sicher auch makelloses Aussehen und tadellose Fitness. Madonna hat bisher nichts dem Zufall überlassen.

Für die Herausgeberschaft von „Madonna und wir. Bekenntnisse“, einem Lesebuch zum runden Geburtstag, hat man sich beim Suhrkamp Verlag an die Grether-Schwestern gewandt. Eine ziemlich passende Wahl: Mit den Musikjournalistinnen Sandra und Kerstin Grether, Zwillingsschwestern und selbst auch Musikerinnen, konnte man sich sicher sein, dass das Phänomen Madonna sowohl in der Subkultur wie auch im Fantum und auf der Gender-Ebene verortet werden würde. Am Wochenende wurde der 400 Seiten dicke Reader in der Galerie Nagel am Rosa-Luxemburg-Platz vorgestellt – zusammen mit einer Ausstellung künstlerischer Arbeiten zu Madonna, von denen die meisten extra für das Buch entstanden.

„Die bildenden Künstler haben zu Madonna genauso viel zu sagen wie die Autoren und Journalisten“, sagt die Kölner Kuratorin Caroline Nathusius, verantwortlich für Ausstellung und Bildteil im Buch. Sie ist sichtlich zufrieden damit, wie die 16 Künstler – unter ihnen Birgit Megerle, Isa Melsheimer, Henning Bohl und Amelie von Wulffen – das Format bespielen. Bei Nagel wird auch gezeigt, was nicht mehr ins Buch passte: dreidimensionale Arbeiten wie eine gold-silberne Tanzstange oder eine monströse weiß leuchtende Madonna-Puppe, die zwischen Fetisch, Grauen und Niedlichkeit schwankt.

Sandra und Kerstin Grether, beide in knielangen Röcken und Riemchenpumps, hasten aufgeregt von hier nach dort. Man weiß nicht: Liegt es an den Strapazen der Organisation oder an der Freude darüber, Madonna eine Party zum 50. zu schmeißen? Denn ein Geburtstagsgeschenk soll das Buch sein. Ihr Motto, schreiben die Herausgeberinnen im Vorwort: „Es gibt keine stolzen Frauen ohne Königin“ – ein Satz von Rainald Goetz aus seinem Roman „Hirn“. Die Affirmationshaltung des Pop verträgt eben auch ein Autoritätsgefälle. Allerdings, schränkt Kerstin Grether ein: „Wenn es eine Queen of Rock gäbe, wäre es sicher hilfreicher für Frauen – aber es ist es halt eine Popkönigin.“ Den Titel nimmt Madonna zurzeit keine.

Zum Auftakt liest die kroatischstämmige Schriftstellerin Marica Bodrožić. Ihr Text schildert den unheiligen Einfluss der Sängerin auf das Körperbewusstsein eines kleinen religiös erzogenen Mädchens in der Provinz. „Die katholische Kirche ist ja auch unheimlich sexuell aufgeladen“, sagt Bodrožić. Dafür gibt es Applaus. Und so geht es weiter, so emsig wie gleichzeitig banal: jeweils 15-minütige Lesungen, nach denen Kerstin Grether sich meist „für diesen eindrucksvollen Text“ bedankt, unterbrochen von minimalistischen Auftritten mit Madonna-Coverversionen.

Zeit, noch mehr im Buch zu blättern. Manche der Autoren geben zu, nicht viel mit dem „Material Girl“ anfangen zu können – Sarah Khan und Jens Friebe beispielsweise, die trotzdem Texte beigesteuert haben. Friebe: „Zu Madonna fiel mir absolut nichts ein.“ Also schrieb er über Kathleen Hannah, Riot Grrrl und postfeministisches Gegenmodell zu Madonna. Khan ist die Sängerin schlicht zu humorlos: „Sie weigert sich einfach, uns den Elvis zu machen. Den Mut, den schweren Weg des Verfalls und des Wandels gemeinsam mit allen Sterblichen zu gehen, hat sie nicht.“

Auch Britney Spears’ Rolle im alles überstrahlenden Spotlight Madonnas wird erkundet, zum Beispiel in einem schönen Stream-of-Consciousness-Experiment von Jessica Fuchs. Der Musikautor Thomas Groß stellt die ganz große Frage: „Sind die Madonnaisten die neuen Dylanologen?“ Eine Parallele zwischen den Dylan'schen Schizophrenien, die Todd Haynes Film „I'm not there“ zum Thema hatte, und den Imagewechseln Madonnas ist gar nicht so schwer zu ziehen.

Zum Abschluss des Abends gibt Frank Spilker von den „Sternen“ noch eine hinreißende Version von Electric Six' „Gay Bar“ auf der Gitarre zum Besten, die Grether-Schwestern moderieren zügig ab und befreien sich im Hinterzimmer von den Absatzschuhen. Diesen Donnerstag tritt die große Abwesende des Abends im Olympiastadion auf. Und, wer weiß, vielleicht schaut sie dann auch in der Galerie Nagel vorbei. Die Grether-Schwestern haben sie jedenfalls ausdrücklich eingeladen.

Kerstin und Sandra Grether (Hg.): „Madonna und wir. Bekenntnisse“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008, 400 Seiten, 12 €ĽDie Ausstellung in der Galerie Nagel ist noch bis zum 30. August zu sehen. Galerie Christian Nagel, Weydinger Straße 2–4