Choreografie von Denver

Jüngste Umfragen zeigen, dass derzeit mehr als ein Viertel der Clinton-Anhänger auf die Parteitreue pfeifen und am 4. November McCain wählen wollen. Ende Juni betrug ihr Anteil noch 16 Prozent, kurz vor dem Parteitag schnellte er auf 27 Prozent hoch. Nur 66 Prozent der Clinton-Anhänger unterstützten Obama, Ende Juni waren es noch 75 Prozent. Das Gesamtergebnis der Befragung von CNN/Opinion Research wirkte wie eine kalte Dusche: Obama und McCain lagen bei 47 Prozent gleichauf. Ohne die Unterstützung des Clinton-Lagers droht Obama den Sieg zu verpassen. Die Demokratische Partei ist gespalten, seit Clinton Anfang Juni nach dem Vorwahlkampf aufgab. Viele Frauen unter ihren 18 Millionen Wählern hatten darauf gesetzt, dass der 60-Jährigen der Sprung ins mächtigste Amt gelingt. Dann zerschlug Obama mit der Nominierung Joseph Bidens auch noch ihre Hoffnung, Clinton als Vizepräsidentin zu erleben. REUTERS

AUS DENVER ADRIENNE WOLTERSDORF

Nicht eine Akte. Nirgends. Stattdessen Kinderchöre, Pfarrerinnen und polierte Reden. Und jede Menge Papierrüschen in Rot-Blau-Weiß. Dazu der Geruch von Popcorn und die heimliche Angst der Demokraten, es doch noch zu versemmeln. Das ist die größte Politveranstaltung, die das Land je gesehen hat. Mehrere zehntausend Menschen hat der Parteitag der US-Demokraten angelockt, so viele wie nie zuvor.

Trotz aller fernsehgerechten Inszenierungen und bisweilen großartigen Reden liegt ein Hauch von Nervosität in der Luft. Warum holt John McCain bloß auf? Wer kann die Partei einen? Hat Hillary alles gegeben? Das sind die Fragen, die am Hotdog-Stand oder vor der Einlasskontrolle des Pepsi-Zentrums in der Luft schweben. Und Gerüchte. Bill Clinton zickt herum, sagt ein Obama-Unterstützer und rollt dabei mit den Augen. „Die Hillary-Leute sind wie die japanischen Zweiter-Weltkrieg-Soldaten“, weiß ein anderer, „die kämpfen weiter, obwohl der Krieg längst verloren ist“, sagt er und tut sich ordentlich Ketchup in sein Beefsandwich.

Clinton stärkt Obama

Ein paar Rolltreppen weiter in der riesigen Mehrzweckhalle beklagt sich eine junge Frau, die gleich mehrere Hillary-Buttons am Revers trägt: „Ich fühle mich von den Obama-Leuten in meinem Hotel einfach überhaupt nicht akzeptiert. Die müssen doch auf mich zukommen“, schimpft sie. Den ersten Schritt wird sie nicht machen. Auf keinen Fall. Schließlich hat ihr Obama den Wahlsieg geklaut. Irgendwie halt, weil er ein Mann ist.

Hillary Clinton, sie nennt sich jetzt im Wahlkampf wieder Hillary Rodham Clinton, lässt sich unterdessen nicht anmerken, ob sie verbittert ist über ihre knappe Niederlage. Sie ist Vollblutpolitikerin und hat den ersten Schritt getan. Ihre Rede am Dienstagabend wird mit erhöhtem Pulsschlag erwartet. Und dann die große Erleichterung im Saal. Ja, sie hat sich strahlend, souverän, etwas steif zwar, aber unmissverständlich für Obama ausgesprochen. Sie war sogar richtig gut dabei. „Jetzt ist die Zeit, als Partei geschlossen zu sein und ein gemeinsames Ziel zu verfolgen“, sagt sie. Und: „Wir gehören einer Mannschaft an, und niemand kann es sich leisten, an der Seite zu stehen.“ Nun gehe es nicht um sie. Und schließlich: „Kein Wenn, kein Aber, kein McCain. Barack Obama ist mein Kandidat, und er muss Präsident werden.“ Nun gelte es „keinen Augenblick zu verlieren, und wir können auf keine Stimme verzichten“. Mehr hätte man von der kämpferischen Lady kaum erwarten können.

Und für so viel Loyalität zur Partei bekommt sie denn auch stehende Ovationen von den mehr als 4.000 Delegierten. Einer aus Ohio hat Tränen in den Augen und schnieft: „Sie ist wirklich gut, das hat sie uns noch mal gezeigt.“ Dann hält er wacker sein Schild hoch, auf dem „Unity“ – Einheit – steht. Hillary hat es an diesem Abend wirklich geschafft. Ihre Anhänger werden Obama unterstützen. Bis auf eine harte Krawallfraktion, die weiterhin McCain wählen will.

Einen Tag zuvor meldete ein Umfrageinstitut, dass 27 Prozent der Hillary-WählerInnen nicht für Obama stimmen wollen, sondern aus Protest für John McCain. „Sie werden über all das schon hinwegkommen“, lautet die etwas achselzuckende Antwort auf diese Meldung aus dem Obama-Team.

Just an dem Tag, als der Parteitag der US-Demokraten seinen Auftakt feierte, verkündete eine andere Umfrage, dass der republikanische Kandidat in spe, John McCain, mit Barack Obama gleichgezogen hatte. 47 Prozent, so viel Zustimmung erhielte jeder der beiden Männer. Noch im Juli hatte Obama einen bequemen Vorsprung von sieben Prozentpunkten gehabt. Diese sind mit der Georgienkrise und McCains platten, aber wirksamen Angriffen dahingeschmolzen.

Obama sei bloß eine „celebrity“, eine hohle Hollywood-Persönlichkeit wie Britney Spears und Paris Hilton, suggeriert das Attack-Team von John McCain in einem Fernsehspot. Dass dem so sei, habe der Auftritt Obamas in Berlin gezeigt und die Massen, die ihm zujubeln. Außerdem mangele es ihm an Erfahrung und er sei zu grün hinter den Ohren. So oft dies bereits Hillary Clinton in ihrem erbitterten Wahlkampf gegen den innerparteilichen Konkurrenten gesagt hat – aus John McCains Ecke kommend, scheint es doppelt so gut zu wirken.

Und weil einige Demokraten sich schon ängstlich fragen, ob sie es – wieder einmal – schaffen werden, auf der Überholspur zu scheitern, tut der Auftritt eines einzigen alten, kranken Mannes so unendlich gut. Es ist der an einem bösartigen Hirntumor erkrankte Senator Edward Ted Kennedy.

Sein Auftritt am ersten Abend des Parteitages wird als Überraschungsbesuch inszeniert. Kurz vor der als Höhepunkt des Tages angekündigten Rede Michelle Obamas, der Ehefrau des Kandidaten, stiehlt der legendäre Lebemann ihr fast noch die Schau. Kennedy, eine Ikone der Demokraten und Überlebender einer großen Familie, macht den rund 5.000 Delegierten im Saal dröhnend Mut. „Die Arbeit beginnt von neuem, die Hoffnung wächst wieder, und der Traum lebt weiter.“ Mit der Wahl am 4. November werde die Fackel endlich an eine neue Generation Amerikaner übergeben, sagt der todkranke 76-Jährige und wirkt dabei lebendiger als manch einer der jungen Hierarchen.

Volles Rohr auf McCain

Zu Beginn ein Feuerwerk an Emotionen und dann, ab Tag zwei, nichts wie runter mit den Samthandschuhen. Das ist die Choreografie dieses Parteitages, dessen gesamtes Geschehen sich – fein eingetaktet auf die Primetime der TV-Sender, eingerahmt von bekannten Musikern wie Beyonce und Stevie Wonder – auf der Bühne abspielt. Nachdem Michelle Obama ihren Auftritt erfolgreich dazu nutzt, ihren Mann und ihre Familie als ganz normale amerikanische Familie, zwar mit dunkler Hautfarbe, aber mit blütenreinen amerikanischen Werten, zu porträtieren, wird am zweiten Tag ein anderer Ton angeschlagen.

Volles Rohr auf McCain, heißt es nun. Auf in die Offensive. „Es ist Zeit, wieder Jobs zu schaffen und unsere Truppen nach Hause zu bringen“, ruft der Gouverneur von Ohio, Ted Strickland. „Wir brauchen keinen Präsidenten, der wie McCain der Vergangenheit verhaftet ist“, säuselt der Exgouverneur von Virginia, Mark Warner, der die Grundsatzrede des Parteitags hält. McCain sei „ein Handlanger Präsident Bushs“, ruft der Senator von Pennsylvania, Bob Casey, und erhält tosenden Applaus. McCain habe im Senat zu 95 Prozent zugunsten des Präsidenten gestimmt. Das sage alles über seine politische Unabhängigkeit.

Redner wie der Arbeitersohn und Senator Dennis Kucinich, der sich selbst im Januar um die Präsidentschaftskandidatur beworben hatte und kläglich gescheitert war, geben dem Event den nötigen klassenkämpferischen Touch. Seit dem Amtsantritt Bushs, wetterte Kucinich, hätten die Ölkonzerne, die Kriegsindustrie und die Neokonservativen die Macht in Washington übernommen. Millionen Amerikaner hätten ihre Arbeitsplätze verloren, ihre Häuser und ihre Krankenversicherung. „Amerika, wach auf!“, ruft Kucinich und wird begeistert bejubelt.

Bleibt der Donnerstagabend. Er gehört dem Star dieses viertägigen Parteitages, Barack Obama. Er wird vor etwa 75.000 Menschen sprechen. Zuvor hat er sich nur einmal kurz, per Satellitenleitung, in Denver blicken lassen. Das war nach der Rede seiner Frau Michelle, zu deren perfektem Familienporträt er sich aus Kansas City hinzubeamte. Während alle über ihn sprachen, redete er in Turnhallen und in Seniorenheimen, irgendwo in den Weiten der USA. Seine Rede am Donnerstag, dämpft der bald Gekrönte in Interviews die Erwartungen, werde die 2004er Rede, die er als noch unbekannter Senator in Illinois auf dem Parteitag der Demokraten halten durfte, kaum übertreffen. Damals hatte Obama die Delegierten euphorisiert, indem er seine eigene bikulturelle Herkunft als Metapher nutzte für die Gräben, die die USA noch überwinden müssen.

Genau mit dieser Botschaft war Obama damals über Nacht zum neuen Hoffnungsträger der Demokraten geworden. Mit der gleichen Botschaft will er sie heute hinüberziehen über die Brücke, die er ihnen errichten wird, hin zu einer neuen Generation US-Amerikaner. Dass sie ihn nun, nur vier Jahre später, auf ihrem Parteitag zum ersten schwarzen Präsidentschaftskandidaten küren werden, das ist ein Wunder, das mancher noch immer nicht so richtig fassen kann.

Dass in ihrem Amerika aber manchmal Dinge passieren, die kaum einer für möglich hält, daran wird sie dieser Donnerstag ohnehin erinnern. Denn genau heute, vor 45 Jahren in Washington, sagte ein junger schwarzer Reverend auf den Stufen des Memorials für Abraham Lincoln: „I have a dream.“ Es war Martin Luther King an dem Tag, der die USA von Grund auf veränderte.