Frauen zu teuer für Freiwilligendienst

Für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) nehmen einige Träger aus Kostengründen nur Kriegsdienstverweigerer. Frauen gehen oft leer aus

Behindertenarbeit, Hausaufgabenbetreuung und Krankenpflege – für viele junge Menschen ist das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) eine Chance, sich sozial zu engagieren und sich vor der Berufswahl eine Verschnaufpause zu gönnen. Wer aktiv werden will, muss sich einen Trägerverein suchen. Deren Mitarbeiter betreuen die Freiwilligen. Gleichzeitig koordinieren sie die Arbeit in den jeweiligen Einsatzstellen.

Derzeit machen etwa 32.000 Jugendliche bundesweit ein Freiwilliges Soziales oder ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ). Das Bundesfamilienministerium preist den sozialen Einsatz auf seiner Internetseite als „wertvollen Beitrag für die Gesellschaft“. Doch was löblich klingt, kann im Einzelfall ganz schön ungerecht sein: Bei der Bewerbung haben nicht alle Interessierten die gleichen Chancen. Diese Erfahrung musste auch Hermann Meyn machen. Der 20-Jährige wollte an seiner ehemaligen Schule, der Primo-Levi-Oberschule in Weißensee, ab September Arbeitsgemeinschaften leiten und den Schülern beim Lernen helfen: ein sogenanntes FSJ at school.

Zuerst sagte ihm der Träger Kinderring Berlin e. V. die Stelle zu. Doch Ende Juli kam kurzfristig ein ablehnender Bescheid. Grund: Hermann Meyn wollte das FSJ freiwillig und nicht als Ersatz für einen Zivildienst machen. Im Gegensatz zu den anderen FSJ-Teilnehmern beim Kinderring war Meyn ausgemustert worden. „Als klar wurde, dass ich kein Kriegsdienstverweigerer bin, hat der Verein plötzlich einen Rückzieher gemacht“, erklärt er. „Bei meinem Freund hingegen, der nicht ausgemustert worden ist, war das alles kein Problem.“

Hintergrund dürfte die Finanzierung des Freiwilligen Sozialen Jahres sein. Das Bundesamt für Zivildienst zahlt für jeden Kriegsdienstverweigerer, der statt des Zivildienstes ein FSJ macht, monatlich 421,50 Euro an den Träger. Für Ausgemusterte und Frauen gibt es eine solche zentrale Zuweisung für die Kosten nicht. Zwar bezuschusst das Bundesfamilienministerium viele FSJ-Stellen mit 72 Euro im Monat. Das reicht jedoch bei weitem nicht aus: In Berlin belaufen sich die Kosten für eine FSJ-Stelle auf 253 Euro Taschengeld für die Freiwilligen plus Sozialabgaben und die Kosten für Seminare und pädagogische Betreuung. Den Fehlbetrag müssen die Einsatzstellen ausgleichen – oder Stiftungen und andere Fördertöpfe ausfindig machen.

Gerade kleinere Trägervereine suchen sich deshalb lieber Verweigerer aus und sichern sich die Finanzierung der Stelle durch das Zivildienstamt – wie der Berliner Kinderring. Auf Nachfrage der taz bekennt der Verein: „Wir nehmen eigentlich nur Kriegsdienstverweigerer.“ Anders könne der Verein das Geld für die Freiwilligen nicht aufbringen, sagte Burkhard Zimmermann vom Kinderring. Frauen und Ausgemusterte haben bei dem Verein deshalb kaum eine Chance.

Hartmut Brombach vom Bundesarbeitskreis FSJ erkennt eine klare Benachteiligung von Ausgemusterten und Frauen. „Es ist ein strukturelles Problem“, erklärt er. Die Kriegsdienstverweigerer brächten das Geld für ihren Dienst quasi mit – für die Einsatzstellen ist das bequem und sicher. Im Fall von Hermann Meyn schlägt Brombach vor: „Die Schule als Einsatzstelle sollte sich überlegen, ob sie nicht Geld für das FSJ zur Verfügung gestellt bekommt.“

Andere, größere Trägervereine wie die IJGD (Internationale Jugendgemeinschaftsdienste) bemühen sich hingegen um Chancengleichheit. „Wir versuchen das FSJ nicht nur Kriegsdienstverweigerern zugänglich zu machen“, erklärt IJGD-Mitarbeiter Torsten Schramm. „Auch Frauen und Ausgemusterte sind bei uns für den Freiwilligendienst willkommen.“

Für eine Bewerbung bei einem der größeren FSJ-Träger sind die Bewerbungsfristen für Hermann Meyn jedoch längst verstrichen. „Der Job mit den Schülern wäre etwas gewesen, wo ich mein Herzblut hätte reinstecken können“, sagt er. Jetzt wünscht sich der junge Mann fast, nicht ausgemustert worden zu sein. Dann hätte er das Jahr in der Schule sicher gehabt.

ANJA HÜBNER