Die Ehe ist ein Willensakt

Ein Roman als Vorlage für einen Hollywoodfilm (2): Rebecca Miller umkreist schelmisch eine Lebenskrise – „Pippa Lee“

Pippa Lee kommen die Zweifel an ihrem Leben dort, wo das Leben der anderen ausklingt: in der Ruheständlersiedlung Marigold Village, wo die Menschen beige Schlupfhosen tragen und die baugleichen Häuser tadellos gepflegte Grünflächen säumen. Dabei ist die Titelheldin von Rebecca Millers erstem Roman gerade einmal fünfzig Jahre alt, doch ihr Ehemann Herb, Amerikas letzter unabhängiger Verleger, ist dreißig Jahre älter und hat zwei Herzinfarkte hinter sich.

Und so verbringt die „Ikone einer Künstlergattin“ ihre Tage, indem sie von der Couch aus Vögel beobachtet und schon morgens das Abendessen plant – ihre Nächte, indem sie als gespenstische „Pippa/nicht Pippa“ schlafwandelnd die Küche verwüstet und rauchend Auto fährt. Was dieses nächtliche Wesen mit der All-American Ehefrau gemein hat, die Dinge wie „ach quack“ sagt und „Die Ehe ist ein Willensakt“, offenbart der in Ichform erzählte zweite Teil des Romans: „Ich kam aus Sukys Bauch, widerwärtig und äußerst munter, fett wie ein sechs Monate altes Baby und mit einem feinen schwarzen Fell bedeckt.“

Erdrückt von der verkorksten Liebe ihrer dexedrinabhängigen Mutter, wächst Pippa zu einem katzengesichtigen kleinen Aas heran, das als Teenager seltsam fremdgesteuert von einer Ausschweifung in die nächste gerät: Sie verführt einen Lehrer, wird von ihrer Tante bei SM-Spielchen mit deren lesbischer Freundin erwischt und lässt sich einige verschwommene Jahre lang unter beachtlichem Drogenkonsum durch New York treiben. Dann lernt sie Herb kennen. Er kauft ihr ein schwarzes Cocktailkleid und lenkt ihr Leben, schrecklich Pretty-Woman-like, aber nicht ohne tragische Zwischenfälle, in geordnete Bahnen.

Pippas aufbrechender Identitätskonflikt wird in diesem Roman in einem engmaschigen Geflecht aus Träumen, Rückblenden und bildgewaltigen Szenen reflektiert. Verwoben sind die einzelnen Stränge in einer – an einigen Stellen allerdings etwas zu kunstvoll konstruierten – Spiegelungsstruktur, innerhalb deren sich vor allem die weiblichen Charaktere alle irgendwie ineinander wiederfinden. Allen voran Pippa selbst, die die Menschen, von denen sie sich angezogen fühlte, ihr Leben lang so unmittelbar als Spiegelbild ihrer selbst betrachtet hat, bis ihr eigenes verschwunden ist.

Dem Muster, nach dem dieser Roman gestrickt ist, merkt man an, dass Rebecca Miller vom Kino kommt. Während sich allerdings in dem Film „Personal Velocity“, der auf Short Stories aus ihrem ersten Buch basiert, fein beobachtete Gesten zu plastischen Charakteren kristallisieren, wirken die Figuren in „Pippa Lee“, an dessen Verfilmung die Regisseurin derzeit arbeitet, wie auf dem Reißbrett entworfen.

Dabei besitzt Rebecca Miller durchaus ein Gespür für sprachliche Dynamiken. Die Darstellung des Künstlermilieus, das die Tochter von Arthur Miller und Inge Morath aus eigener Erfahrung kennt, lebt von ihrem ironischen Blick. Und mithilfe der Diskrepanz zwischen Pippas trägem Erzählton und den tragischen Ereignissen gelingt es Miller, die wachsende Entfremdung Pippas von sich selbst in Sprache umzusetzen.

Letztlich fehlt es jedoch dem Roman wie seiner Titelheldin an Ernsthaftigkeit und Tiefe; und durch die ständige Variation der Motive ist Pippas Lebenskrise irgendwann zerkaut wie ein alter Kaugummi und mündet fade in die naheliegendste Lösung. Am Schluss bleibt keine Frage offen, und der Schelmenroman um Pippa Lee endet als klassisches Roadmovie: „Ich kurbele mein Fenster hinunter und sehe, wie das Bild lebendig wird.“ LAVINIA MEIER-EWERT

Rebecca Miller: „Pippa Lee“. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2008, 360 Seiten, 19,90 Euro