Ameisenbrigade im Schaufenster

AC Mailand hat Millionen investiert in große Stars, doch vorerst rangiert der Klub am Tabellenende der Serie A

ROM taz ■ Nicht Barcelona oder Chelsea lauten heuer die Referenzpunkte für den AC Mailand. Die selbst ernannten Meisterschaftsfavoriten finden sich nach zwei Spieltagen in der Serie A in Gesellschaft der sardischen Inselkicker von Cagliari Calcio: Null Punkte und nur ein Tor stehen zu Buche. Milan ist Vorletzter.

Der Berlusconi-Club hat seine Abwärtstendenz der letzten Spielzeiten fortgesetzt und steckt nun in der tiefsten Krise der Ancelotti-Ära. Dem Trainer, der wegen seiner außerordentlichen Fähigkeiten als quasi unantastbar in der Via Turati gilt und daher trotz etlicher Fehlleistungen in den vergangenen Meisterschaftsjahren nie ernsthaft zur Diskussion stand, muss inzwischen ein Wunder helfen. Denn Milan fährt nicht nur schlechte Ergebnisse ein. Sieben Niederlagen setzte es in den letzten neun Spielen. Die Startruppe mit den drei Ex-Weltfußballern Ronaldinho, Kaka und Schewtschenko spielt auch noch pomadig. Schneller als erwartet hat sich gezeigt, dass Milans Einkaufskampagne mit Ronaldinho, Schewtschenko, Zambrotta, Borriello und Flamini nur Spektakelwert hatte. Die Schwemme von Offensivspielern hat das Gefüge der Mannschaft destabilisiert. „Wir sind in einer Situation des No“, hatte der zur Pause wegen mangelnder Integration ins Spiel ausgewechselte Schewtschenko hilflos zu erklären versucht.

Substanziellere Erkenntnisse hatte auch Ancelottis öffentliche Analyse nicht zu bieten. „Wir müssen uns auf allen Gebieten verbessern. Wir brauchen Zeit. Wir kommen da auch wieder heraus“, hatte er gemurmelt. Immerhin war er sich auf Nachfrage noch sicher, Trainer des AC Milan zu sein. Die Rückendeckung von Clubeigner Berlusconi – er lässt gegenwärtig seine Präsidentschaft ruhen – und Vizepräsident Galliani hat er weiterhin. “Ancelotti stand nie zur Disposition, meinte Galliani

Treue zum Trainer ist durchaus angesagt, denn Galliani und Berlusconi stehen in der Schuld ihres Angestellten. Obwohl Ancelotti wiederholt einen Brecher vom Typ Drogba für die Verbesserung der Durchschlagskraft gefordert hatte, wurden ihm mit Schewtschenko und Ronaldinho Spielertypen aufgehalst, die diesem Profil nicht entsprechen. Zwar beschwert sich Carlito nicht offen, aber im Gegensatz zu Mourinho beim Lokalrivalen Inter bleibt ihm nur die Rolle eines Schaufensterdekorateurs. Er muss die Preziosen, die Berlusconi und Galliani erwerben, attraktiv arrangieren.

Das hat der frühere Mittelfeldstratege bislang auch ordentlich machen können. Den Spielern gilt er als „großer Bruder, als einer von ihnen, dem sie zwar mit Respekt begegnen, von dem sich die großen und leicht verletzlichen Egos aber auch verstanden fühlen. Doch momentan scheint selbst Carlito mit seinem Latein am Ende. Waren bislang das Ego-Management und die Überwindung der Lässigkeit seines Starensembles die Hauptaufgaben, so hat sich bei der Niederlage in Genua eindeutig gezeigt, dass seine Spieler trotz Wollens nicht können. Die Charakteristik der Truppe hat sich von der launischen Diva, die noch immer zu Momenten großer Kunst fähig ist, in eine Ameisenbrigade verwandelt. Stilprägend ist jetzt nicht mehr die faule, aber gelegentlich brillante Raubkatze Seedorf, sondern der technisch limitierte Dauerrenner Ambrosini. Dieses Milan, das gewissermaßen im Vorbeigehen den Pott des Uefa-Cups seiner Trophäensammlung hinzufügen wollte, muss nun fürchten, gleich in der ersten Runde vom Züricher Präzisionsfußball demontiert zu werden. Gegen den Schweizer Zweitligisten Lugano hatte es unter der Woche im Freundschaftsspiel bereits eine 0:2-Klatsche gegeben. Lugano, Zürich, Cagliari – die Welt des AC Milan ist auf Tischfußballdimensionen geschrumpft.

TOM MUSTROPH