Ein anderes Asien ist möglich

Beim 1. Asiatischen Sozialgipfel präsentieren sich die globalisierungskritischen Bewegungen des Kontinents. Anliegen und Vorschläge sind bunt gemischt

aus Hyderabad CHRISTA WICHTERICH

Sonalchavan möchte „lernen, wie ich die Globalisierung bekämpfen kann“. Und was versteht sie unter Globalisierung? „Wenn Coca-Cola unser Wasser in Plastikflaschen füllt und die Armen dafür bezahlen müssen.“ Die Siebzehnjährige ist mit der Jugendgruppe Akshara aus Bombay zum 1. Asiatischen Sozialforum nach Hyderabad gekommen. Hier führen sie ihr Theaterstück auf, das Kinderarbeit als Folge der Globalisierung thematisiert.

Seit dem 2. Januar steht eine Staubwolke über dem Gelände des Nizam College, aufgewirbelt von 15.000 TeilnehmerInnen aus Indien, einigen hundert aus anderen asiatischen Ländern und einer Hand voll aus Europa und Nordamerika. An jeder Ecke wird skandiert, gesungen, getrommelt oder getanzt. Noch nie hat sich in Asien ein so breites Spektrum von Organisationen und Gruppierungen von den Dörfern bis zu den Universitätsspitzen mit einer neuen, einenden Perspektive zusammengefunden: „Ein anderes Asien ist möglich.“

Forderungen und Protest

Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen fordern soziale Gerechtigkeit; GewerkschafterInnen protestieren gegen die Privatisierung von Staatsbetrieben; Dalits, Angehörige der niedrigsten Kasten, prangern ihre zunehmende Diskriminierung an; Frauen in Schwarz demonstrieren gegen Militarisierung und Gewalt. Bäuerinnen und Bauern, Basisgruppen und führende Intellektuelle, Feministinnen, Adivasi – die indischen Indigenen – Jugendliche, stramme Marxisten … bunter könnte die Mischung nicht sein. Die einen kommen mit brillianten Analysen und fertigen Konzepten, die anderen mit den Erfahrungen, welche Auswirkungen WTO-Abkommen auf ihre Arbeitswelt haben. Diskutiert wird, wie demokratische Rechte und Räume eingeschränkt und soziale Rechte abgebaut werden. Aber auch, wie Widerstand von unten aufgebaut und Unabhängigkeit vom Weltmarkt erzielt werden kann.

Zehn Großveranstaltungen, hunderte Workshops, Seminare und ein Filmfestival – ein überbordendes Programm, das vor allem den Zweck hat, die Vielfalt der Stimmen, Erfahrungsebenen und Lösungsansätze zueinander in Beziehung zu setzen. „Das Forum bietet erstmals eine Plattform für gemeinsame Klärung und Selbstverständigung zwischen den meist unverbunden nebeneinander agierenden sozialen Gruppierungen, NGOs und Netzwerken“, meint John d’Souza vom Zentrum für Bildung und Dokumentation in Bombay.

Die neoliberale Globalisierung ist in Hyderabad jedoch nur ein Schwerpunkt. Gleichgewichtig daneben stehen Militarisierung, Krieg und Gewalt sowie Fundamentalismus und Nationalismus. In diesem thematischen Rahmen bewegen sich die Teilnehmer. Fundamentalismen und politisierte Religionen werden vor allem als identitätspolitische und kulturelle Reaktionen auf die westlich dominierte Globalisierung betrachtet. Die USA werden beschuldigt, ihr „Imperium“ mit der neoliberalen Agenda als Software und Militarisierung als Hardware gegen die durchzusetzen, die sich ihrer Kontrolle zu entziehen versuchen.

Terror und Nationalismus

Aber auch die in vielen Ländern zunehmende Militarisierung nach innen wird thematisiert. Nighat Khan, eine der wenigen Pakistanerinnen, die nach Indien einreisen durften, analysiert, dass die Eliten ihre Macht immer mehr durch Gewalt, Terror und Nationalismus absichern, weil ihre Unterstützung durch die Massen zusehends schwindet. In Pakistan leisteten vor allem Frauen Widerstand gegen Militarisierung und Islamisierung, weil ihre Rechte zuerst beschnitten würden.

Durchgängig ist in Hyderabad die Forderung, „die wirtschaftlichen und sozialen Rechte gegen den wachsenden Einfluss privilegierter Interessen“ zu stärken, wie Jean Dreze von der Jawaharlal Nehru University New Delhi erklärt. Das Recht auf Bildung etwa werde durch die Privatisierung von Bildungseinrichtungen sowie fundamentalistische Ideologien immer mehr gefährdet.

Der Kampf um elementare Rechte geht zunehmend von unten aus. „Wir können nicht zur UNO oder zur Welthandelsorganisation (WTO) fahren und für unsere Rechte kämpfen – wir streiten uns mit unserer Landesregierung“, sagt Aruna Roy von der populären Bewegung für das Recht auf Information im westindischen Rajasthan. Die trotzt der Regierung nicht nur Informationen über Politik und Budgets ab, sondern organisiert öffentliche Anhörungen und zieht die Behörden zur Rechenschaft. Wenn Rechte auf Nahrung, auf Information und Ressourcenzugang ins Zentrum der Kämpfe rücken, wird das „zu einem radikalen Wandel in den politischen Prioritäten führen“. Dreze und Roy halten an der „Verantwortung des Staates“ für die Verwirklichung von Grundrechten fest. Organisationen wie die Volkswissenschaftsbewegung setzen dagegen auf den Aufbau von Alternativen auf kommunaler Ebene und in den lokalen Gemeinschaften. Und Vandana Shiva, Indiens bekannteste Kämpferin für Biodiversität und lokale Ökonomien, plädiert in Hyderabad für die „Aufkündigung der Zusammenarbeit“ mit dem Staat und für „Selbstregierung“.

Visionen und Widerstand

Medha Patkar, die seit Jahren den Widerstand gegen den Narmada-Staudamm führt, wird wie eine Volkstribunin gefeiert, als sie zum gewaltfreien Kampf gegen das technologisch-industrielle Entwicklungsmodell, das indische Kastensystem und den Hindu-Chauvinismus aufruft. Inspiration dafür sieht sie bei Gandhi, aber auch bei Marx.

Andere setzen auf globaler Ebene an. „Uns ist ein Zwei-Fronten-Kampf aufgezwungen“, sagt etwa Walden Bello von Focus on the Global South in Bangkok: „der Kampf gegen die neoliberale Globalisierung durch die WTO und gegen den drohenden US-Krieg gegen den Irak.“ Beides sieht er als Klammer für die vielfältigen, oft gegensätzlichen Positionen. Seine Vision: Bringt die WTO zum Entgleisen! Für ihn ist das eine Voraussetzung dafür, dass Gesellschaften ihre Ressourcen, ihre Ökonomie und ihre Demokratie wieder selbst kontrollieren können.