Die Pioniere des Positiven

Mit dem ambitionierten Festival „Performing South Africa“ wird das HAU in den kommenden Tagen Kulturprojekte aus Südafrika präsentieren, etwa das wegweisende Künstlerkollektiv Gugulective

VON CHRISTIANE KÜHL

Als Stefanie Wenner im April dieses Jahres eine Performance in Johannesburgs Fashion District besuchen wollte, riet man ihr dringend davon ab. Selbst in der wenig zimperlichen südafrikanischen Metropole gilt der Fashion District – früher für seine Mode, heute für seine hohe Zahl simbabwischer Einwanderer bekannt – als No-go-Area, zumal für weiße Frauen. Tatsächlich konnte die HAU-Kuratorin dort keine fünf Minuten an einer Straßenecke stehen, ohne dass ein Polizeiauto hielt und ein besorgter Cop „You’re ok, Ma’am?“ fragte. Ironischerweise rieten Freunde und Verwandte auch Khanyisile Nbongwa von ihrem geplanten Trip nach Berlin ab – in Südafrika gilt unter Schwarzen nämlich ganz Deutschland tendenziell als No-go-Area. Dass beide Frauen – wie 35 andere Künstler auch – sich über die Ratschläge hinwegsetzten, hat die erfreuliche Folge, dass ab heute bis zum nächsten Samstag im Hebbel am Ufer das Festival „Performing South Africa“ stattfindet.

Jetzt sitzt Khanyisile Nbongwa im Café am Halleschen Ufer und zieht den Reißverschluss ihrer roten Adidas-Jacke hoch – ein bisschen kälter ist es in Berlin schon, als sie erwartet hat. Die 23-Jährige kommt aus Guguleto, einem Township von Kapstadt, das zweitgrößte des Western Cape. Vor zwei Jahren gründete sie dort mit einer Handvoll Freunden das Künstlerkollektiv Gugulective, das heute zu den interessantesten des südlichen Afrikas zählt. Die Mitglieder arbeiten in den verschiedensten Sparten von Poesie über Performance und Installation zu Rap; was sie eint, ist ihr Aufwachsen in Guguleto und ihr Bezug zum Ort.

„Du kannst Guguleto aus zwei Perspektiven betrachten“, erklärt Nbongwa. „Du kannst die tough side sehen, die Armut, die Kriminalität, den Mangel an Schulen, an Arbeit, an Infrastruktur und Ressourcen aller Art. Du kannst aber auch auf die bright side blicken: den Familienzusammenhalt, die hervorragende Nachbarschaft, die informellen ‚each one teach one‘-Bildungsstrategien, den großen Gemeinschaftssinn.“ Gugulective hat sich entschlossen, beides im Blick zu behalten und das Potenzial aufzudecken, das im Zusammendenken der Widersprüche steckt. Praktisch heißt das, sich zuerst selbst in den Arsch zu treten und dann anderen die Augen für ihre Möglichkeiten zu öffnen. „Nenn uns Pioniere des Positiven“, sagt Nbongwa und strahlt.

Vor einem Jahr zeigten Gugulective im Rahmen der „Cape Africa Platform“ ihre erste Ausstellung in Guguletos Shebeen NY 146 No. 15. Shebeens waren einst illegale Treffpunkte der Schwarzen, in denen konspirativ Alkohol getrunken und Politik gemacht wurde. Seit dem Ende der Apartheid sind sie legalisiert, jedoch vielerorts zu reinen Besäufnisbars verkommen. Die Idee war, das Shebeen wieder zu seiner ursprünglichen Funktion als Ort des Austauschs und des Networkings zurückzuführen. Da das erfolgreich gelang, stellte der Besitzer des NY 146 No. 15 Gugulective eine Lagerhalle im Hof dauerhaft zur Verfügung.

Hier organisieren sie nun regelmäßig Ausstellungen, Performances und Filmvorführungen, wobei das Entscheidende ist, dass sich das verstreute Kunstpublikum mit dem regulären Kneipenpublikum mischt. Für viele Townshipbewohner ist dies der einzige Kontakt mit Kultur im engeren Sinne – zwar „dürfen“ sie heute die Museen, Theater und Büchereien in Kapstadts Zentrum besuchen, doch die wenigsten tun das. Zugang zur Kunst zu ermöglichen, mehr noch, überhaupt die Möglichkeit von Zugang und Teilhabe zu kommunizieren, ist das Hauptanliegen von Gugulective. Wobei sie das Shebeen als exemplarisch für das ganze Township sehen: als „space of potential“, das ergriffen werden muss.

Eine solche Arbeit außerhalb ihres lokalen Kontexts zu zeigen, ist so gut wie unmöglich. Denkt man jedenfalls im Café am Halleschen Ufer, wird aber sofort von Themba Tsotsi korrigiert. Der 27-jährige gehört ebenfalls zu Gugulective und baut dieser Tage vor dem HAU 2 ein Shebeen auf. Dass das adrette grüne Rasenstück und der ruhig fließende Pkw-Verkehr vor dem Fenster nichts von einem afrikanischen Township haben, lässt er nicht gelten: „Wenn die verarmten Landarbeiter ins Township kommen, bauen sie auch einfach da, wo gerade Platz ist. Und hier ist Platz. Darum geht es doch: Gelegenheiten ergreifen, einfach die vorhandenen Ressourcen nutzen.“ Leben im Readymade.

„Performing South Africa“ will keine Überblicksschau, sondern eine spezifische Momentaufnahme sein. Mandipha Mntambo zeigt eine Videoarbeit zu Genderfragen, Athi-Patra Ruga performt Facebook-gestützte „Geschichten über Konterpenetration“, Ismail Farouk informiert über die Privatisierung der Straßen Johannesburgs; dazu gibt es Theater, Tanz, Filme und Konzerte. Was sie verbindet, ist ihr Interesse an politischer Selbstvergegenwärtigung. „Die Frage ‚Wo stehen wir?‘ taucht hinter allen Arbeiten auf. Die Apartheid ist vorbei, aber Probleme sind da“, fasst Stefanie Wenner bündig zusammen. „Also wird versucht, ein Verhältnis zur Geschichte herzustellen – und weiterzugehen.“ Auch in der Auseinandersetzung mit ästhetischen Traditionen und zeitgenössischen Ausdrucksformen.

Mit dem kleinen Festival will das HAU einen persönlichen und direkten Blick auf Südafrika erlauben – auch im Hinblick auf die WM 2010 und die zu erwartende Medienberichterstattung. Ismail Farouks Studio in Johannesburgs Fashion District wird dann nicht mehr stehen. Der Fashion District liegt im Zwei-Meilen-Bannkreis des neuen Stadions und soll abgerissen werden.

Bis 27. September, www.hebbel-am-ufer.de