„Wir sind in der Defensive“

Der asiatische Entwicklungsforscher Walden Bello berichtet vom Sozialforum und von Strategien für die Nichtkonzerne: Das Dringlichste sei angesichts des instabilen kapitalistischen Systems eine Alternative zu den Fundamentalisten und Nationalisten

Interview CHRISTA WICHTERICH

taz: Sie haben mit dem Begriff Deglobalisierung eine Perspektive aufgemacht. Ist die hier auf dem Asiatischen Sozialforum weiter konkretisiert worden?

Walden Bello: Wenn Globalisierung die globale Integration aller Märkte und Produktionssysteme im Interesse der Profitmacherei von Konzernen meint, dann bezeichnet Deglobalisierung Strategien, aus diesem System herauszukommen. Der Begriff will provozieren, Aufmerksamkeit erwecken – und das ist uns gelungen. Wir haben hier unterschieden zwischen globalisierter Ökonomie und wirklicher internationaler Ökonomie. Das bedeutet keinen Rückzug aus allem Handel, aber eine Absage an das Dogma des freien Handels. Wir wollen internationalen Handel unter fairen Bedingungen, nicht kontrolliert von der WTO, sondern angepasst an die Werte, die Rhythmen, Bedürfnisse und Visionen der Gesellschaften.

Nach Ihrer Analyse ist das neoliberale System in der Krise. Gewinnen globalisierungskritische Bewegungen dadurch an Boden? Mit welchen Chancen?

Die Instabilität des kapitalistischen Systems ist unser größter Pluspunkt. Es ist ganz dringlich, dass die globalisierungskritischen Bewegungen ein anderes Modell anbieten. Denn wir sind in einer Situation wie Anfang der 30er-Jahre in Deutschland: Wer kann die Massen überzeugen: die Rechten oder die Linken? Das Establishment kann nicht länger durch ideologische Überzeugung an der Macht bleiben, sondern muss autoritäre Mittel und Gewalt benutzen. Schon Rosa Luxemburg hatte auf den möglichen Triumph der Barbarei hingewiesen. Das kann auch jetzt wieder geschehen. Die Fundamentalisten und Nationalisten bieten bereits ein alternatives Paradigma an. Wir stehen in einer furchtbaren Konkurrenz mit ihnen. Deshalb brauchen wir Foren wie das ASF, um die Dringlichkeit rüberzubringen. Wir sind in der Defensive. Die Zeit läuft.

Tragende Säulen des neoliberalen Systems sind die internationalen Finanzinstitutionen. In Globalisierungsdiskussionen ist eine zentrale Frage, wie sie bekämpft werden können.

Den zentralen Steuerungsinstitutionen wie der Welthandelsorganisation WTO und der Weltbank muss Macht entzogen werden. Steuerungs- und Kontrollmacht muss dezentralisiert und an regionale Organisationen und Kooperationen übergeben werden. Nur dann können Gesellschaften die ihnen gemäßen Entwicklungsstrategien demokratisch wählen. Und diese Strategien werden unterschiedlich sein, je nach den Bedürfnissen und Interessen unterschiedlicher Kulturen und Gemeinschaften. Wir brauchen dezentrale und pluralistische Regime, geteilte Macht, wechselseitige Kontrolle – demokratische Institutionen, nicht technokratische neoliberale Wirtschaftsblöcke wie die EU und Asean.

Was steht als nächstes an?

Die nächste Liberalisierungsrunde bei der 3. WTO-Ministerratskonferenz im September in Cancun zu verhindern. Jemand hat gesagt: Die WTO ist wie ein Fahrrad, sie fällt um, wenn sie nicht in Bewegung ist. Genau das wollen wir erreichen. Wir wollen sie aus dem Tritt bringen. Dazu müssen wir eine globale Massenbewegung gegen die konzerngesteuerte Globalisierung aufbauen. Auf nationaler Ebene müssen wir neue Liberalisierungsverhandlungen unserer Regierungen stoppen. Und in Cancun werden wir mindestens so präsent sein wie in Seattle. Wir wollen einen weiteren Liberalisierungskonsens verhindern. Auch das würde kein Sieg über das neoliberale System sein, aber Möglichkeiten eröffnen für unseren Kampf für alternative dezentrale Institutionen.