Südkorea mischt diesmal mit

Die Nuklearkrise auf der koreanischen Halbinsel regt Seoul zu einer eigenständigen Außenpolitik an

TOKIO taz ■ Nordkoreas Führer Kim Jong Il und seine säbelrasselnden Generäle haben mit der Nukleardrohung in Nordostasien nicht nur ihre Nachbarn aufgeschreckt, sondern eine neue Ära in der Außenpolitik Südkoreas eingeläutet. „Wir wollen diesmal mit eigenen Initiativen den Dialog zwischen Pjöngjang und der internationalen Gemeinschaft fördern“, sagte der außenpolitische Sprecher für den designierten neuen Präsidenten Roh Moo-hyun schon zu Beginn der Krise. In Seoul hatte niemand vergessen, dass Südkorea während der Nuklearkrise 1994 kaum mitreden durfte und als Juniorpartner der USA die Bedingungen im Vertrag über die „Korean Peninsula Energy Development Organisation“ (Kedo) ohne Widerrede schlucken musste.

Es geht um das Überleben der gesamten koreanischen Bevölkerung, warnte Roh eindringlich. Südkorea will, dass der Norden und die USA ohne gegenseitige Vorbedingungen an den Verhandlungstisch zurückkehren und die Beilegung der Krise im Dialog suchen. Gesandte reisten nach Peking, Moskau und Tokio, um Hilfe für eine Entspannung zu suchen. Dabei traf der designierte Präsident auf ein wohl vorbereitetes Feld, das ihm der scheidende Kim Dae Jung hinterlassen hat. Mit seiner „Sonnenscheinpolitik“ hatte nämlich Kim nicht nur die Annäherung an Pjöngjang gefördert, sondern gleichzeitig ein enges Netz von Kontakten nach Peking, Moskau und Tokio aufgebaut. Und dieses Netz dürfte in den nächsten Monaten wertvoller sein als alle bisherigen Gipfeltreffen und bilateralen Abkommen zwischen dem Süden und dem Norden.

Als ersten Erfolg erhielt Seoul die Zusicherung Pekings und Moskau, dass sie ihre besonderen Beziehungen zu Kim Jong Il nutzen würden, um das Regime zur Aufgabe des umstrittenen Atomprogrammes zu bewegen. Die Einbindung Pekings und Moskaus gelang unter anderem auch darum, weil Südkorea für beide Länder zu einem der wichtigsten und verlässlichsten Handelspartner aufgestiegen ist. Dies öffnet in der Außenpolitik neue Türen.

Washington blickte zunächst mit Argwohn auf die umtriebigen Diplomaten aus Seoul. Die Administration von Bush machte sich plötzlich mehr Sorgen über ein störrisches Seoul als das drohende Pjöngjang. Zweifel an der Haltung des asiatischen Bündnispartners hatten auch die verbreiteten antiamerikanischen Demonstrationen genährt, die schon im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen ausgebrochen waren. Diese Demonstrationen flammten wieder auf, weil eine Mehrheit der Südkoreaner glaubt, dass Washington für die jüngste Krise gleich viel Verantwortung trägt wie Pjöngjang. Die Weigerung der Bush-Administration, die Entspannungspolitik von Kim Dae Jung zu unterstützen, hatte in den letzten zwei Jahren bereits unnötige Verzögerungen für Familienzusammenführungen und Hilfsaktionen verursacht. Viele Südkoreaner können nicht verstehen, warum die USA sich mit Pjöngjang nicht auf einen konstruktiven Dialog einlassen und dem Norden eine Sicherheitsgarantie geben wollen.

Wie stark die diplomatischen Bemühungen Seouls auf Washington einwirkten, ist noch nicht genau ersichtlich. Die am Dienstag erfolgte Zusicherung der USA zur Gesprächsbereitschaft könnte aber eine Frucht dieser Anstrengungen sein. Zwar erklärte die US-Regierung, sie sei nur zu Gesprächen und nicht zu Verhandlungen bereit und wolle Nordkorea nicht für die Einhaltung bestehender Vereinbarungen belohnen, doch rückte Washington von seiner bisherigen Forderung ab, vor Gesprächen müsse Nordkorea seine jüngsten Maßnahmen in Zusammenhang mit seinem Atomprogramm zurücknehmen. Seouls Emissäre können nun Mitte Januar gestärkt zu den bilateralen Gesprächen in Pjöngjang reisen.

Aus Pjöngjang erhielt Seoul noch keine konkreten Signale für eine versöhnlichere Haltung. Im Gegenteil, die offizielle Nachrichtenagentur KCNA führte die Kriegsrhetorik am Mittwoch weiter und beschuldigte die USA erneut, die Kriegsgefahr auf der koreanischen Halbinsel zu verschärfen. In Seoul und ebenso in Tokio werden die kriegerischen Töne allerdings mit Gelassenheit gehört. Die Erfahrung aus den letzten Jahren haben gezeigt, dass Pjöngjang seine Sprache meist kurz vor einem Kompromissvorschlag noch mal verschärft. ANDRÉ KUNZ