Schmieriges Gesetz

Die polnische Medienlandschaft wird von einem Schmiergeldskandal erschüttert, in den selbst der Premierminister verwickelt zu sein scheint

von RICHARD HEIMANN

Pressefreiheit gibt es in Polen seit fast 14 Jahren. Doch die alten Reflexe der Konspiration funktionieren noch immer: Im Juli letzten Jahres konferierte Adam Michnik, Chefredakteur der größten Tageszeitung Gazeta Wyborcza und ehemaliger Untergrundkämpfer der Solidarność, mit seinen engsten Mitarbeitern nur noch auf den Terrassen des Verlagshauses, Telefone waren tabu. Man befürchtete Wanzen, installiert von höchster Regierungsstelle. Was war geschehen?

Nach Weihnachten machte die Gazeta Wyborcza mit der Schlagzeile „Schmiergeld für Gesetz“ auf. Der Filmproduzent Lew Rywin kam im Sommer angeblich im Auftrag des Premierministers Miller und seiner postkommunistischen SLD und verlangte von Agora, dem Verlag von Gazeta Wyborcza, 17,5 Millionen Dollar. Als Gegenleistung würde die angestrebte Nivellierung des Mediengesetzes sehr günstig für den Verlag ausfallen, so der Mittelsmann. Die polnischen Medien kommen seitdem nicht mehr zur Ruhe.

Agora ist das größte polnische Medienunternehmen. Der Erfolg des 1989 von Dissidenten gegründeten Verlages ist für ganz Osteuropa beispiellos. Die Mehrheit am Verlag halten die Mitarbeiter. Das Kernstück bildet die liberale Gazeta Wyborcza, die mit rund 430.000 Auflage für über drei Viertel des Umsatzes sorgt und den investigativen Journalismus pflegt. Hinzu kommen 27 regionale und ein überregionaler Radiosender sowie 16 verschiedene Fachmagazine.

Was in diesem Portfolio fehlt, ist das Fernsehen, und da trifft es sich gut, dass der größte Privatkanal, Polsat, schwächelt. Man sagt Agora großen Appetit nach.

Das neue Mediengesetz soll Agoras Appetit zügeln. Es sieht vor, dass Unternehmen, die bereits eine überregionale Zeitung herausgeben, keinen Fernsehsender besitzen dürfen. Man spricht von einer Lex Agora, doch der Verlag ist angesichts der Medienvielfalt weit von einer marktbeherrschenden Stellung entfernt. Nur die Postkommunisten haben Grund, Agora zu fürchten: Der Verlag steht außerhalb ihres inzwischen weit verzweigten Netzwerks.

Das neue Mediengesetz würde den öffentlich-rechtlichen Rundfunk stärken, in dem die SLD alle Schlüsselpositionen mit ihren Leuten besetzt hat. Kritische polnische Medien könnten im elektronischen Bereich nicht expandieren. Dafür wäre der Weg für neue ausländische Investoren frei. Bei allen polnischen Medien, außer den öffentlich-rechtlichen, stößt das neue Gesetz auf einhellige Ablehnung. Besser Michnik als Murdoch, versichert man sich gegenseitig.

Da taucht nun Rywin als Emissär mit besten Verbindungen zur Regierung auf und rechnet vor, dass fünf Prozent des Wertes von Polsat an die SLD gehen müssten, also 17,5 Millionen Dollar. Das Geld solle man erst an seine Filmproduktionsfirma überweisen. Mit dem Premier gehe er gelegentlich angeln, dabei könne er alles klar machen. Kleine Nebenbedingung: Gazeta Wyborcza solle aufhören, Miller zu kritisieren, und für sich selbst stelle er sich einen auskömmlichen Posten bei Polsat vor.

Die Geschichte ist so absurd, dass Michnik von Anfang an nicht geglaubt hat, der Premierminister würde so plump agieren. „Wie kann man Menschen mit unseren Biografien ein solches Angebot machen?“, empört sich Wanda Rapaczynska, die Vorstandsvorsitzende von Agora. Michnik war gewitzt genug, das Gespräch mit dem Emissär verdeckt aufzunehmen und Miller damit zu konfrontieren. Es kam zu einem Dreiertreffen: Michnik,Miller und Rywin. Rywin weigerte sich, über seine Auftraggeber zu plaudern – und bot dem Premierminister seinen Selbstmord an.

Wollte man Agora oder Miller kompromittieren? Planten etwa die Postkommunisten aus politischen Gründen einen Schulterschluss mit dieser Ikone der Demokratie? Und warum brauchte es fünf Monate, um den Skandal publik zu machen? „Wir haben recherchiert, wer hinter Rywin stand“, sagt Michnik. Ohne Ergebnis.

Miller, der in einen Korruptionsskandal verwickelt werden sollte, hätte die Staatsanwaltschaft sofort einschalten müssen. Warum tat er es nicht? Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun von selbst. Ein Untersuchungsausschuss im Parlament wird sich der Sache annehmen.