Ökos gegen Ökos

Auch erneuerbare Energie kann man nicht zum ökologischen Nulltarif erzeugen. Doch lässt sich Naturschutz sinnvoll mit der Erzeugung von Bioenergie verbinden und fördern

Wo Wale ihre Kinderstube und Seevögelihr Hauptrastgebiet haben, ist kein Platz für Windparks

In der Umweltpolitik zeichnet sich ein neues Konfliktfeld ab, das in den nächsten Jahren für erheblichen Streit sorgen wird: der Streit zwischen Naturschützern und den Protagonisten der erneuerbaren Energien über die „richtigen“ ökologischen Ziele. Wer dieser Tage den Disput über den geplanten Windpark „Butendiek“ in der Nordsee verfolgt, weiß, was gemeint ist (siehe auch taz vom 23. 12. 2002). Auf der einen Seite finden sich die Betreiber des geplanten Bürgerwindparks, die Klimaschutz und Energiewende als Begründung für ihr Projekt ins Feld führen. Auf der anderen Seite stehen Naturschützer und Meeresökologen, denen der Schutz der Lebensräume von Seevögeln und Schweinswalen mindestens an diesem Ort wichtiger ist.

Ganz ähnliche Konflikte lauern auch an anderen Stellen im Spannungsfeld von Naturschutz und nachhaltiger Energiepolitik. Landauf, landab setzen sich Befürworter der umweltfreundlichen Wasserkraft dafür ein, dass an Bächen und kleinen Flüssen neue Anlagen zur Stromerzeugung gebaut oder alte reaktiviert werden. Naturschützer dagegen bekämpfen vielerorts das Anstauen der Fließgewässer und die baulichen Eingriffe durch Wasserkraftwerke, weil sie der Gewässerökologie und der freien Bewegung wandernder Tierarten einen höheren Rang einräumen als der Energiegewinnung.

Pflanzliche Biomasse bietet ein großes Potenzial für die CO2-neutrale Erzeugung von Strom, Wärme und Treibstoffen. Das Repertoire reicht dabei von Blockheizkraftwerken, die mit Stroh oder Holzhackschnitzeln befeuert werden, über Biosprit aus Raps, Zuckerrüben oder Mähgut bis hin zu Holzpelletheizungen. Denen, die für eine hohe Biodiversität in der Land- und Forstwirtschaft streiten, behagt diese Aussicht aber nicht durchweg. Sie fürchten eine weitere Intensivierung der Landnutzung: mehr Monokulturen, mehr Mineraldünger, mehr Pestizide.

Biogas aus der landwirtschaftlichen Tierhaltung gilt als vielversprechende Zukunftsenergie. Das aus Gülle, Mist und Bioabfall gewonnene Gas lässt sich hervorragend zur Stromerzeugung oder als Heizstoff nutzen. Da die Wirtschaftlichkeit solcher Anlagen aber mit der Viehkonzentration steigt, fragen viele Tier- und Naturschützer, ob die ethisch und ökologisch fragwürdige Massentierhaltung auf diese Weise nicht „reingewaschen“ werde.

Wie ist mit Konflikten umzugehen, bei denen beide Seiten mit ökologischen Argumenten kämpfen? Sicher nicht so, wie es heute oft geschieht. Manche Lobbyisten der erneuerbaren Energien sehen in Naturschutzargumenten lediglich eine Störung ihres Expansionskurses und behaupten hinter vorgehaltener Hand, Sentimentalitäten wie den Artenschutz oder die Bewahrung von Landschaftsidyllen könne man sich bei der Jahrhundertaufgabe Energiewende nicht leisten. Andererseits kämpfen nicht wenige Naturschutzfunktionäre mit einer Inbrunst gegen jedes Wind- und Wasserrad, die schaudern lässt: Der Ausbau der erneuerbaren Energien beeinträchtige nicht nur das Landschaftsbild und schade der Tierwelt, worüber man reden muss, sondern sei auch kein nennenswerter Beitrag zur Lösung des Energieproblems, was wiederum Unfug ist.

Wie aber sähe eine vernünftige Konfliktbearbeitung aus? Zunächst sollten die Tatsachen auf den Tisch. Die wichtigste ist, dass jede Art der Energieerzeugung einen Eingriff in die Umwelt darstellt und sich durch ein spezifisches Risikoprofil auszeichnet: Bei den fossilen Energieträgern Kohle, Öl und Gas schlagen insbesondere die Landschaftszerstörung, Unfallgefahren (siehe die gerade gesunkene „Prestige“) und der Beitrag zum Klimawandel zu Buche; bei der Atomkraft sind es drohende Havarien, die Missbrauchsgefahr und Jahrtausende strahlender Müll; und bei den erneuerbaren Energien sind es Landnutzung und die möglichen Folgen für das Landschaftsbild und manche Tierarten.

Wenn es richtig ist, dass Energiegewinnung zum „ökologischen Nulltarif“ grundsätzlich nicht zu haben ist, dann wird offenkundig, was im Zentrum einer nachhaltigen Energiepolitik zu stehen hat: die Ausschöpfung der „Energiequelle Energieeinsparung“ (Klaus Meyer-Abich). Einstweilen sind verbrauchsarme Autos, effiziente Maschinen, sparsame Geräte, Niedrigenergiehäuser und der Verzicht auf überflüssigen Energieverbrauch die wichtigsten Strategieelemente der Energiewende. Nur wenn insgesamt weniger Energie verbraucht wird, kann der Anteil der erneuerbaren Quellen an der notwendigen Erzeugung schnell auf relevante Größenordnungen steigen. Die Protagonisten der erneuerbaren Energien sollten die Energieeinsparung nicht, wie es heute oft der Fall ist, als Konkurrenz sehen, sondern als starken Verbündeten!

Allerdings – das wiederum müssen die Naturschützer verstehen – fällt die Antwort darauf, welche Form der Energieerzeugung beim Abgleich der diversen Risikoprofile die ökologisch akzeptabelste ist, eindeutig aus: Es sind die erneuerbaren Energien. Sie verursachen – außer bei der Produktion der „Hardware“ – keine Treibhausgase, bergen keine nennenswerten Unfallrisiken und können je nach Naturausstattung angepasst werden: Im Bayerischen Wald kann die Nutzung von Energie aus Holz dominieren, im Alpenraum die Wasserkraft, im Südbadischen die Solarenergie, in Mecklenburg die Erdwärme und in Schleswig-Holstein die Windkraft. Weltweit werden wir während der nächsten hundert Jahre komplett auf erneuerbare Energien umsatteln müssen.

Beim Windpark „Butendiek“ streiten sich Naturschützer und Förderer der erneuerbaren Energie

Da, wo sich der Naturschutz und die Nutzung erneuerbarer Energien im Raum stoßen, bieten sich zwei Wege an: Kooperation oder Ausschluss. Viele Konflikte können durch das Suchen nach Win-Win-Lösungen überwunden werden: Nur Bioenergie aus umweltgerechter Landwirtschaft, nachhaltiger Forstwirtschaft und artgerechter Tierhaltung sollte gesetzlich gefördert werden. Dazu sind klare Zertifizierungssysteme erforderlich. Auch können Wasserkraftwerke durch bauliche Maßnahmen oft so gestaltet werden, dass die Folgen für die Gewässerökologie sich in Grenzen halten und die Durchlässigkeit für wandernde Tierarten erhalten bleibt. Um das jedoch sicherzustellen, bedarf es unabhängiger Umweltgutachter.

Freilich gibt es auch unüberwindbare Konflikte. Vor allem bei der Windkraft werden wir uns darauf einzustellen haben. Sie lassen sich am ehesten dadurch abmildern, dass an Land wie auf See Vorrang- und Ausschlussflächen für diese Form der Energieerzeugung bestimmt werden, und zwar auf der Basis von gesicherten wissenschaftlichen Ergebnissen über die Ökologie der betreffenden Gebiete. Da, wo Wale ihre Kinderstube und Seevögel ihr Hauptrastgebiet haben, ist kein Platz für Windparks – zumal, wenn in unmittelbarer Nähe Ausweichflächen vorhanden sind. Wer will, dass die Windenergie eine wichtige Rolle in der Energieerzeugung der Zukunft spielt, wofür es viele gute Gründe gibt, kann über solche Einwände nicht einfach hinweggehen.

REINHARD LOSKE