Und jetzt noch ’ne Falafel

Klassische und moderne Musik aus dem Nahen Osten in Osnabrück. Zu Gast beim Morgenland Festival sang die iranische Rockband Dash als Zugabe „Keep on Rocking in the Free World“, will aber nicht auf Politik reduziert werden

Osnabrück scheint mit quirligen Senioren gesegnet zu sein, wenn man vom Auditorium des Eröffnungskonzerts des Morgenland Festivals auf den unsichtbaren Rest schließen darf: Eine Omi hüpft wild vor der Stadthalle umher, um Frank Cramer zu imitieren, der unter Starkstrom das Münchner Rundfunkorchester dirigiert hatte; dann hält sie inne, neigt den Kopf und sagt: „Hach, das war schön, ne?“ Die Umherstehenden antworten mit einem überzeugten „Jaaah!“. „Die orientalischen Stücke waren besonders gelungen“, analysiert einer der wenigen Herren der Senioren-Gang. Da kommt Lachen auf: Wegen des Orients sei man ja schließlich auch gekommen. „Jetzt noch ’ne Falafel!“, ulken sie zum Abschied.

Blitze ins All

Das Urteil der Senioren kann man unterschreiben. Das Programm platzierte spätromantisch-orientalisierende Stücke wie Carl Nielsens „Aladin Suite“ als akustische Separees, mit denen für Raum zwischen den zwei sehr anspruchsvollen, dem Zuhörer einiges abverlangenden Uraufführungen von Werken Nader Mashyekhis und Saed Haddads gesorgt werden sollte. Das funktionierte.

Die „Moulana Symphonie“ des ehemaligen Dirigenten der Teheraner Symphoniker, der als akademischer Lehrer und Leiter zweier Jugendsymphonieorchester viel für das klassische Musikleben in Iran geleistet hat, präsentierte sich als der sanfte, an Filme Tarkowskis gemahnende Atem eines kosmischen Lebewesens. Umflossen von statisch in sich flirrenden Klangtexturen schleuderte der iranische Gesangsvirtuose Salar Aghili Blitze des iranischen Dichters Moulana (1207–1273) ins All. Das erinnerte an sich aufschaukelnde Gitarrenfeedbacks oder das Spiel eines Free-Jazz-Saxofonisten. Die „Alternative World Versions“ des 1972 in Jordanien geborenen Saed Haddads überzeugten hingegen durch eine rhythmisch hochenergetische, an Penderecki geschulte Zertrümmerung musikalischer Identitätsatome.

Am nächsten Morgen lacht mediterranes Azur über Osnabrück. Leicht historisch mutet der Titel der Fotoausstellung „Iran – Stillstand oder Aufbruch“ an, die schon am Vortag von Udo Steinbach in der „Lagerhalle“ eröffnet worden war. Von „Aufbruch“ zu sprechen wäre wahrscheinlich schon am Ende der ersten Präsidentschaft (1997–2001) Chatamis blanker Hohn gewesen. Im Vorausblick auf die Wahl des kommenden Jahres, bei der man die Wiederwahl des fundamentalistischen Populisten Ahmadinedschad keinesfalls ausschließen sollte, hätte der Titel eher „Iran – Krebsgang oder Absturz“ lauten können.

Die facettenreichen Innenansichten des Iran, die Ulla Kimmig vor rund fünf Jahren eingefangen hat, dokumentieren freilich weder Stillstand noch Aufbruch, sondern Alltag. Einen Alltag, der den Betrachter ohne die Lektüreausrichtung des Titels weitaus stärker zu fesseln vermag, da der Blick so für das frei wird, was in seiner profanen Faktizität gezeigt wird: Mullahs auf einem Teppich im theologischen Seminar, Grenzsoldaten, Frauen im Beauty-Salon. Ob auch die jungen Frauen des Jahres 2008 mit ihrem Lippenstift „stummen Protest“ gegen das Regime äußern, mag man indessen bezweifeln.

Rockige Seite des Orients

Die rockige Seite des Orients präsentierte sich abends im Kontext einer Podiumsdiskussion mit Musikern des iranischen Underground. Insbesondere die Mitglieder der jungen Band Dash verwahrten sich gegen die übereifrige Politisierung einer Bewegung, der es heutzutage primär darum gehe, im Iran Rockmusik als Form persönlichen Ausdrucks zu etablieren.

„Ich hasse es, immer nur über Politik und nie zu unserer Musik befragt zu werden“, sagte der Sänger der Band Babak Navak. Der frühere Leitgedanke des Underground, die politische Partizipation der jugendlichen Bevölkerungsmehrheit des Iran einzufordern, droht so freilich verloren zu gehen. Vielleicht reicht aber auch die schiere Energie, die Dash im Anschluss auf die Bühne brachten. Seit bald fünf Jahren konnte die Formation nicht mehr auftreten. „Keep on Rocking in the Free World“ sangen sie als letzte Zugabe eines furiosen Konzerts. ALESSANDRO TOPA