gentechnik, gesellschaft etc.
: Wie staatsgläubig ist das „FAZ“-Feuilleton? Eine Replik

Ein bloß formales Freiheitsverständnis

Die FAZ steht rechts, die taz denkt links – so lautete mal ein beliebter Spruch. Das ist etwas her. Neuerdings warnen die auch nicht mehr mit Einheitslohn bezahlten Autoren aus der Berliner Genossenschaft vor jedweder Kritik am Individualismus und preisen den Liberalismus als Weg zu Freiheit und Glück. Im Feuilleton des Frankfurter Blattes setzt man sich dagegen vor allem (aber nicht nur) in der Auseinandersetzung um Biopolitik mit der sozialen Dimension der neuen Technologien auseinander und warnt vor einem bloß formalen Freiheitsverständnis.

Nun attestiert die taz der FAZ deswegen, sie sei staatsgläubig und könne sich politische Intervention nur als Tätigwerden des Gesetzgebers vorstellen – die Welt könnte wieder schön in Ordnung sein: Dort die autoritären Antiliberalen, hier die libertären Antiautoritären (siehe taz vom 9. 1.).

Zwei Dinge allerdings passen nicht ins Bild. Erstens meint die taz bei der FAZ einen weiter gehenden Autoritarismus beweisen zu können und führt an, dass dort „auch die Walser-Debatte … letztlich als Verbotsdiskussion“ geführt worden sei. Das wirft ein Schlaglicht auf das, was hier offensichtlich unter „Verbot“ verstanden wird: Es ging ja nie darum, Walsers antisemitisch gestimmten Roman durch staatliche Zensur zu untersagen. Der Suhrkamp Verlag wurde scharf für die geplante Publikation kritisiert, und es wurde (ergebnislos) darauf gedrungen, dass er sie unterlässt. Das Anliegen war also eine gesellschaftliche Reaktion, keine staatliche Gewaltmaßnahme.

Zweitens ist Kronzeuge der taz für die vermeintlichen biopolitischen Weichenstellungen der FAZ (und anderer) in Richtung starker Staat der Philosoph Volker Gerhardt. Gerhardt steht dem Staat dabei deutlich näher als die FAZ-Autoren: Er ist Mitglied des Nationalen Ethikrats, mithin einer in der Tradition des Zentralstaats stehenden Institution, die von Schröder als starkem Mann der Bundesregierung im Alleingang eingerichtet wurde.

Tatsächlich steht der Nationale Ethikrat nicht für Verbote, sondern im Gegenteil für Deregulierung. Was biomedizinisch möglich ist, soll zumindest in irgendeiner Form auch erlaubt sein. Das wirft die interessante Frage auf, warum eigentlich ein Staat, der gegen eine starke gesellschaftliche Opposition durchsetzt, dass eine wissenschaftliche oder ökonomische Elite etwas machen darf, obwohl es möglicherweise für das Gemeinwesen höchst schädlich ist, als liberaler, antiautoritärer Staat gilt? Der Staat, der die Nutzung der Atomenergie nicht nur nicht verboten, sondern lange Zeit in hohem Maße gefördert hat, wurde auch von der taz als Atomstaat kritisiert und nicht als freiheitliches Gebilde beschrieben, das die individuelle Freiheit der Kernphysiker sichert.

Nun ist industriell genutzte Atomenenergie etwas anderes als die Präimplantationsdiagnostik (PID), die helfen will, Paaren ihren Wunsch nach einem in bestimmter Art und Weise beschaffenen Kind zu verwirklichen. Aber auch die PID birgt erhebliche, wenig erforschte soziale Risiken für die Gesellschaft als Ganzes und möglicherweise auch medizinische Gefahren für die so erzeugten Individuen in sich. Wenn die Debatte darüber nicht bloß eine Rhetorikübung sein soll, muss es eine Möglichkeit geben, sie zu führen, ohne dass bereits vollendete Tatsachen geschaffen werden. Etwas (noch) nicht zu erlauben, kann dafür die Voraussetzung, etwas (schließlich doch) zu verbieten, das Ergebnis sein. Das einzufordern, hat mit Staatsgläubigkeit nichts zu tun. Es ist ein Plädoyer für eine Gesellschaft, die sich und ihre Kontroversen ernst nimmt.

OLIVER TOLMEIN