Neue Provokation Nordkoreas

Die Regierung in Pjöngjang steigt aus dem Atomwaffensperrvertrag aus und erklärt gleichzeitig, dass sie keine A-Waffen herstellen will. Dies löst internationale Kritik und Verluste an den Börsen aus. Engpässe in der Wärme- und Stromerzeugung

aus Tokio ANDRE KUNZ

Wer schon im Loch gefangen ist, sollte besser nicht weiter graben. Genau das hat Nordkorea mit dem Ausstieg aus dem Atomwaffensperrvertrag am Freitag nun getan. Der Schritt löste eine Welle von Kritik aus, und sogar das versöhnlich gestimmte südkoreanische Außenministerium sieht nun wieder den Frieden ernsthaft gefährdet.

Die Sorgen der Nachbarn sind begründet. Als Nordkorea im Jahre 1993 in einer ähnlichen Provokationsrunde gegenüber den Vereinigten Staaten den Rückzug aus dem Atomwaffensperrvertrag ankündigte, plante die damalige US-Regierung unter Bill Clinton einen Angriff mit Stealthbombern zur Zerstörung der nordkoreanischen Atomanlagen rund um Yongbyon. Nur knapp entging die koreanische Halbinsel einem Krieg. Japan und Südkorea forderten das kommunistische Land daher auf, den Schritt sogleich rückgängig zu machen. Zusammen mit Deutschland und anderen europäischen Staaten äußerten sich auch China und Russland tief besorgt. Die beiden Länder mit den engsten Beziehungen zu Pjöngjang werden nach diesem Beschluss kaum mehr verhindern können, dass Nordkorea zu einem Thema im UNO-Sicherheitsrat wird.

Die Ankündigung Pjöngjangs erwischte besonders die Nachbarn auf dem falschen Fuß, weil sie nur wenige Stunden nach Gesprächen zwischen zwei nordkoreanischen Diplomaten und dem ehemaligen US-amerikanischen UNO-Botschafter Bill Richardson gemacht wurde. Zuvor hatten die USA Gesprächsbereitschaft signalisiert, allerdings Verhandlungen über die nordkoreanische Forderung nach einem Nichtangriffspakt als Vorbedingung zurückgewiesen.

Für noch größere Verwirrung sorgte die Zusatzankündigung aus Pjöngjang, dass der Rückzug aus dem Sperrvertrag eine legitime Maßnahme zur Selbstverteidigung gegen die Unterdrückung durch die USA sei. Die Regierung werde keine Atomwaffen herstellen, wolle aber auch die Kontrolleure der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) nicht ins Land zurück lassen.

Die widersprüchlichen Aktionen Nordkoreas stimmen mit einem althergebrachten Muster überein. Mit der schrittweisen Eskalation werde später schon der kleinste Verhandlungserfolg als großer Fortschritt betrachtet, auch wenn er in Wirklichkeit nur der Bestätigung eines früheren Status quo gleichkomme, erklärte der britische Koreaexperte Aidan Foster-Carter. Diese Widersprüche weisen aber auch auf einen Richtungsstreit in der nordkoreanischen Führung hin: zwischen einer konservativen Militärelite, die Angst vor der Öffnung des Landes hat, und einem liberaleren Flügel, der mit Wirtschaftsreformen nach chinesischem Muster das Überleben des Regimes von Kim Jong Il sichern will.

In Seoul und Tokio vermochte die Drohung aus Pjöngjang erstmals die Finanzmärkte zu beeinflussen und mündete in Verluste an den Börsen und einer Abschwächung von Yen und Won gegenüber Dollar und Euro. Diese Reaktion hing damit zusammen, dass Pjöngjangs schneller Ausstieg aus dem Atomwaffensperrvertrag als Hinweis auf die prekäre Versorgungssituation interpretiert wurde. Bereits in drei Wochen gehen gemäß der UNO-Hilfsorganisation World Food Programme die Vorräte für die Ernährung von sieben Millionen Einwohnern – einem Drittel der Bevölkerung – aus. Der Stopp der Öllieferungen durch die USA und die anderen Partner des Koreanischen Energieentwicklungsabkommens (Kedo) haben zu einem harten Engpass in der Wärme- und Stromerzeugung geführt. Obwohl die USA und Japan, die neben Südkorea und China zu den wichtigsten Gebernationen gehören, offiziell die Nahrungsmittellieferungen fortsetzen, gibt es Streit über die Lieferbedingungen. Die Führung in Nordkorea erhöhte nun mit dem Rückzug aus dem Atomwaffensperrvertrag den Einsatz noch mal und hofft immer noch, mit dieser Eskalationstaktik mehr von der internationalen Gemeinschaft und den USA herausholen zu können.