Existenzsorgen auf dem Jugendhilfemarkt

Radikale Kürzungen haben die Jugendhilfe ans Limit gebracht. Die privaten Träger darben. Nun werden erstmals wieder Sozialarbeiter eingestellt

Über die Stadt verteilt gibt es mehrere Kriseneinrichtungen, die für den Notfall Schlafplätze bieten, rund um die Uhr von Sozialarbeitern betreut. Für viele der gut 1.000 Berliner Mädchen und Jungen, die in der Obhut der Jugendämter leben, sind die Krisendienste die ersten Anlaufstellen.

Die Betroffenen sind meist zwischen 14 und 18 Jahre alt. Einige kommen von sich aus, andere werden von der Polizei gebracht, manche leben auf der Straße, manchmal haben sie geklaut und wurden dabei erwischt. Die meisten der Kinder, die vor den Eltern fliehen, lebten bereits ohne Vater, was den Druck auf die Mutter nur erhöht.

Die Jugendämter selbst handeln jedoch nur noch im Notfall, ansonsten vermitteln und bewilligen sie die Maßnahmen. Ihnen fehlen Geld und Personal, seit der Senat die Mittel um 40 Prozent gekürzt hat. Deswegen sinkt auch die Chance für die Jugendlichen, einen Platz im betreuten Wohnen zu bekommen.

Die Wohngemeinschaften werden von über 50 Anbietern in Berlin betrieben. Sie gehören zu dem Kreis hunderter, meist gemeinnütziger Vereine oder GmbHs, die heute in der Hauptstadt den Großteil der Sozialarbeit erledigen. Einige davon existieren schon seit den 80er-Jahren. Sie haben sich spezialisiert, bieten zum Beispiel betreute Tagesgruppen für Schüler an, rund um die Uhr betreutes Wohnen für Jugendliche, die Drogen nehmen, oder Programme, bei denen sie à la Super-Nanny in die Wohnungen gehen und Familienberatung machen.

Doch die Branche steht unter Druck. Gleich nach den Kürzungen im Jahr 2002 haben die Ämter weniger Jugendliche geschickt, WGs mussten aufgegeben und auch Leute entlassen werden. Ohnehin zahlt die Stadt weniger für einen Platz im betreuten Wohnen. So sind auch die kleinen Unternehmen auf dem Jugendhilfemarkt gezwungen, möglichst sparsam und effektiv zu arbeiten.

Um ihre Abhängigkeit von der Politik in den Stadtbezirken abzubauen, haben einige freie Träger ihre Geschäftsfelder auf mehrere Bezirke ausgedehnt. So, hoffen sie, kann die Existenz des Unternehmens halbwegs gewahrt bleiben, wenn nach einem Machtwechsel in der Bezirkspolitik andere Schwerpunkte gesetzt werden.

Zumindest die Leiter der 16 Berliner Jugendämter sind sich jedoch sehr einig. Bereits im Mai hatten sie einen Brandbrief an den Senat geschickt und mehr Personalstellen gefordert, weil sie sonst ihre Aufgabe nicht mehr wahrnehmen könnten. Nun sollen 90 Sozialarbeiter eingestellt werden – zum ersten Mal seit 13 Jahren. JAN PIEGSA