zwischen den rillen
: Diven in Krisen: Mariah Carey, Whitney Houston, J-Lo

Die öffentlichen Frauen

Whitney Houston hält inzwischen ein Dauer-Abo für die Betty-Ford-Klinik, Mariah Carey wurde aus ihrem Rentenvertrag gefeuert, und Jennifer Lopez muss bald Ben Affleck ehelichen. Kein Zweifel: Mit ihrem Privatleben sorgten die drei US-Diven in den letzten Monaten für mehr Aufsehen als mit ihrer Musik. Doch wenn Jennifer Lopez im Titel ihres neuen Albums authentizitätsheischend ankündigt „This Is Me – Then“, fragt man sich: Will man das so genau wissen?

Und ist dann dankbar, dass das Versprechen nur sehr oberflächlich eingelöst wird. Zwar lässt sich das Album durchaus als 50-minütige Liebeserklärung zum Hollywoodstar lesen. Aber natürlich haben wir es hier nicht mit Berichten aus dem Beziehungsalltag zu tun, sondern mit einer boulevardesken Homestory samt Videoclip, in dem sich Lopez und Affleck als Promi-Paar auf der Flucht vor Paparazzi inszenieren. So wird Privatleben zur Kunst.

Mariah Carey dagegen hat zwar ein paar Nervenzusammenbrüche hinter sich, und Houston gestand Eheprobleme und Experimente mit Alkohol, Kokain und chemischen Wirkstoffen. Doch weder auf Careys „Charmbracelet“ noch auf „Just Whitney“ finden sich Spuren davon. Stattdessen: Liebesschwüre und ausuferndes Leid, am Manne und der Welt.

Lopez hingegen wechselt souverän zwischen den Rollen: Mal ist sie hauchende Verführerin, mal treu sorgende Liebste, mal klagende Verlassene und schließlich, in einem geradezu genialen Dreh zurück in eine Pseudorealität, das kleine Mädchen von nebenan: In „Jenny from the Block“ wird zum unglaublich eingängigen „Beatnuts“-Sample einerseits penetrant die eigene Straßenhaftung beschworen. Andererseits aber sucht Lopez damit wieder Allmacht über das Produkt Jennifer Lopez zu gewinnen. Aus dem Objekt männlicher Sehnsüchte wird damit die Vorsitzende der J-Lo-AG.

Was den Kuschelgebrauchswert angeht, ist Carey weiterhin die Kaiserin unter den Schnulzenköniginnen. Sie schreckt nicht einmal davor zurück, das Heavy-Metal-Epos „Bringin On The Heartbreak“ – schon in der Originalversion von Def Leppard unerträglich – zu bislang unerreichten Kitschhöhen zu knödeln. Anschließend wird in „Sunflowers for Alfred Roy“ über den kürzlichen Tod des eigenen Vaters so beseelt geflötet, dass das Vogelzwitschern, das den Song einleitet, im Vergleich nachgerade menschlich wirkt.

Im Booklet präsentiert sich die ehemals Brave tapfer als Femme fatale mit Pausbäckchen: Die Fotostrecke, eine hochglänzende, lippengeschürzte Räkelei auf Chaiselongues, ließe sich – nur unwesentlich weniger Stoff vorausgesetzt – auch ausgeklappt im Playboy denken. Ihre Stimmbänder prügelt Carey derweil von orgiastischen Höhen zu verruchten 0119-Tiefen.

Was eine echte Diva sein will, braucht aber auch eine Horde Bewunderer, die sie umgeben: Nennen wir es den Kollaborationsfaktor. Während sich die anderen auf wenige, aber dafür prominente Namen wie LL Cool J (Lopez) oder Jay-Z (Carey) beschränken, hat sich auf „Just Whitney“ wenigstens ein halbes Dutzend Autoren versucht: Helfende Hände reichten P. Diddy, Babyface, Missy Elliott und viele mehr. So strahlt „Just Whitney“ wie der Hochglanzkatalog eines Einrichtungshauses: Die Möbel sind da, nur das Haus fehlt noch. Obdachlos stehen die teuren Sachen rum und vergammeln im Regen. Und mit einem Song über die Wohltaten einer Wellnessfarm degradiert sich die durchschnittliche R&B-Schaffe von „Just Whitney“ dann endgültig zum leblosen Hausfrauensoul.

Lopez’ Werk dagegen besticht – wie ihre gesamte Karriere – von vornherein durch den Mut zum Trash. Selbst die Beats klingen wie aus zweiter Hand, für „Dear Ben“ scheint jemand eine Papprolle gesampelt zu haben. Trotz solcher handwerklicher Probleme aber ist Lopez die Diva der Stunde. Niemand verschränkt wie sie so erfolgreich Oeuvre, öffentliche Person und Glücksversprechen.

Allerdings: Nur wer ganz unten ist, kann wiederauferstehen. Das prädestiniert dann doch Carey, in der New York Times nach fürstlicher Abfindung noch als „Lachnummer“ verhöhnt, für den Phönix-aus-der-Asche-Trick, der sich in einem Diven-Portfolio hervorragend ausnehmen würde. Tatsächlich hat „Charmbracelet“ – vom rührseligen Titel (deutsch: „Zauberarmband“) über verantwortungslose Intimität „Sunflowers for Alfred Roy“) bis zu seltsam seelenloser Sentimentalität alle notwendigen Eigenschaften. Und wer ließe sich nicht erweichen von einem gefallenen Engel, der auf dem Plattenteller gelandet ist. Einem Engel, der zudem noch singen kann wie – ja, wie ein Engel eben. THOMAS WINKLER

Mariah Carey: „Charmbracelet“ (Island/Universal); Jennifer Lopez: „This Is Me – Then“ (Sony); Whitney Houston: „Just Whitney“ (Arista/BMG)