heute in bremen
: „Sehr beschäftigt mit dem Wandel“

Eine lettisch-polnisch-deutsche Anthologie reflektiert Alltag und Geschichte dreier Hansestädte

taz: Ihr Buch heißt „Bremen, Danzig, Riga“. Was verbindet diese drei Städte?

Birgid Hanke, Mitherausgeberin: Vor allem die Geschichte der Hanse. Die schlägt sich etwa in der Architektur nieder und auch im Lebensgefühl. Die Städte erscheinen mir wie Schwestern: Wenn ich in Danzig auf dem Markt flaniere, fühle ich mich nicht fremd. Aber die Partnerschaft hat natürlich auch andere Aspekte.

Zum Beispiel?

Alle drei Städte befinden sich in einem wirtschaftlich-gesellschaftlichen Wandel: Alte Schlüsselindustrien wie Werften und Häfen sind weggebrochen, was sich auch im Alltag der Menschen und damit gleichfalls in der Literatur niederschlägt. Bis zur „Wende“ wiederum haben in Bremen Dissidenten Asyl gefunden, und auch zu jener Zeit gab es schon einen regen Austausch zwischen Schriftstellern.

Wie hat sich dieser Austausch seit dem Zusammenbruch des Ostblocks verändert?

Polen hat heute mit der Zeit der Werftarbeiterstreiks nicht mehr viel zu tun. In den 1980er Jahren mussten Autoren ihre „Samistad-Texte“, die Untergrundliteratur, in den Westen schmuggeln. Heute ist der Umgang miteinander viel unbefangener.

Wie schlägt sich das in den „Städtebildern“ nieder?

Wenn Sie die Geschichten der ganz jungen Autoren lesen haben Sie die gleichen Themen wie bei der westeuropäischen Jugend: Arbeitslosigkeit, Drogen und etwas, das ich moderne Entwurzelung oder jugendliche Verlorenheit nennen würde – das ist hier wie dort gleich.

Die Danziger und Rigaer Autoren schreiben in ihrer Anthologie über ihre eigene Stadt, die Bremer Autoren über die Städte der anderen. Warum?

Die Bremer Autoren sind etwas ruhiger und saturierter und haben Zeit, ihren Blick interessiert gen Osten zu richten. Die dortigen Schriftsteller sind noch zu sehr mit dem Wandel in ihren Gesellschaften beschäftigt. Sie befinden sich in einer Phase, die mit der deutschen Nachkriegszeit vergleichbar ist: Sie schleppen eine unglaubliche geschichtliche Last mit sich herum.

Meinen Sie damit den Kommunismus?

Nicht nur. Das unheilsame Wirken der Deutschen im 2. Weltkrieg ist in beiden Ländern unvergessen. Danach war Riga lange russisch, Danzigs deutsche Geschichte wurde negiert. All dies muss aufgearbeitet werden.

Wie schreitet diese Aufarbeitung voran?

Es gibt im Hinblick auf die kulturelle Vergangenheit eine gewisse Normalisierung. Aber das Trauma der polnischen Vertreibung aus dem Osten in Richtung Danzig zum Beispiel ist noch sehr präsent. Das hat man auch in diesem Sommer beobachten können.

Sie meinen während der Georgien-Krise?

Ja. Lettland und Polen waren hellwach, sie standen sofort in Georgien Gewehr bei Fuß, bildlich gesprochen. Die Urängste vor einem neuen Kalten Krieg sind noch da.

Fragen: Christian Jakob

Lesung: Heute um 17 Uhr im Kaminsaal des Rathauses. „Städtebilder“ ist in der „edition lumière“ erschienen