Ciao, Chemie-Mafia

Italienischer Chemieriese aufgeflogen. Jahrelang illegal Müll entsorgt. Auffällig viele Kinder krank nahe Standort

ROM taz ■ Seit Freitagnachmittag steht in Priolo auf Sizilien die Chlor-Soda-Produktionsanlage des italienischen Chemieriesen Enichem still. Sie könne die Sicherheit des Betriebs nicht mehr gewährleisten, teilte die Firmenleitung mit, da alle zuständigen Manager abwesend sind. Die Herren fehlen aus einem schlichten Grund: Sie sitzen in Haft. Gleich 17 örtliche Enichem-Bosse und einen Beamten der Provinzverwaltung buchtete die Staatsanwaltschaft von Syrakus ein. Der Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung mit dem Ziel der Müllverschiebung.

Begonnen hatten die Ermittlungen im September 2001, als einige Bürger wegen eines großen Flecks im Meer vor Priolo Anzeige erstatteten. Offenkundig waren große Mengen Schwefelsäure ins Meer gelangt. Aus dem Abflussrohr von Enichem. Was die Staatsanwälte in den nächsten Monaten zutage förderten, war ungeheuerlich.

Systematisch entsorgte die Firma ihren Giftmüll auf den kürzesten Wegen. So wurde Quecksilber einfach in den Gulli gekippt, die Konzentrationen im Meerwasser überschritten Grenzwerte um das 20.000-fache. Abfälle wurden mit allerlei Zeug gemischt, als Bauschutt deklariert und statt auf Sondermülldeponien auf normale Müllkippen in ganz Italien gebracht. Etwa 5 Millionen Euro jährlich soll Enichem so gespart haben. Dank der tätigen Mithilfe des Provinzbeamten, der mit der Überwachung der Giftmüllentsorgung betraut war. Die Manager machten noch weiter, als sie schon den Staatsanwalt im Haus hatten. „Der Tankwagen muss so lange stehen bleiben, wie unser Freund da ist“, sagt ein Direktor in einer Besprechung. Später dann, als die giftige Brühe durchs Rohr ins Meer rauschte, freuten sich die Herren: „Wir haben ihn gefickt.“ Leider hörten die Wanzen der Ermittler mit.

Nun könnte sich die Anklage weiter verschärfen. Im Gebiet um Priolo stellen Kinderärzte seit 20 Jahren eine deutlich höhere Rate von Missbildungen bei Neugeborenen fest. Mit allein 1.000 missgebildeten Kindern zwischen 1990 und 2000 liegen die Werte 200 Prozent über dem nationalen Durchschnitt. Das Ermittlungsverfahren allerdings kam erst 2000 in Gang. Den Managern wird jetzt „Verachtung der Umwelt und des menschlichen Lebens“ vorgeworfen. Damit stehen sie nicht allein: Die schon 1990 vom Umweltverband Legambiente erhobene Forderung nach sofortiger Modernisierung der Chlor-Soda-Produktionsanlagen verhallte aber seinerzeit ungehört. MICHAEL BRAUN