Ein Kühlschrank für den Osten

Okay, die wirtschaftliche Einigung Europas galoppiert mächtig voran, die politische Einigung stolpert hinterher – und was sagt die Kunst dazu? Eine Ausstellung in Baden-Baden will Antworten geben

von GEORG PATZER

Im Sciencefiction-Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ gibt es einen Supercomputer, der die Antwort auf alle Fragen findet. Als er sie hat, hat man die Frage allerdings schon vergessen. Ein wenig ist es auch so bei einer neuen Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden: schöne Antworten, aber was war noch mal gleich das Problem?

Um Europa sollte es gehen. Matthias Winzen, Direktor der Kunsthalle, der die politische Einigung der Währungsunion hinterherhinken sieht, erhofft sich nun also schöne Antworten von Künstlern. Wohin hat sich aus ihrer Sicht der „Stier, die listig-lüsterne Maskierung triebhafter Macht“, der die neugierige Dame Europa aus Kleinasien entführte, entwickelt? Ist die „mythologische Reiterin, die nicht lenkt, heute eine Allegorie der Kultur, mitgerissen vom global vorwärts drängenden Wirtschaftsdynamismus und dazu verurteilt, sich von dem Bullen tragen zu lassen, auch wenn sie seine Gewalttätigkeit mehr und mehr begreift?“, so fragt Winzen, mäzenatisch unterstützt von der Allianz-Kulturstiftung.

Zwar hat er eine in weiten Teilen überzeugende Ausstellung inszeniert und begleitend dazu viele spannende Aktionen durchführen lassen, doch inwiefern die Künstler dabei etwas zu Europa sagen, wird nicht ganz klar. Schließlich wurde europäische Kunst seit jeher von allen Europäern als solche verstanden. Und große Kunst hat die Gewalttätigkeit des Bullen auch schon immer begriffen. So what?

Sieht man von derlei Überlegungen ab, erweist sich die Kunst tatsächlich als „(dis)simile“, wie der Titel der Schau lautet: als „(un)gleich“; Widerstände gegen eine vereinnahmende Politik werden sichtbar, unwillige Randständige, menschenfreundlichere Alternativen, Blicke zurück und nach vorn in die Regionen.

Dabei ist die Ausstellung in drei Bereiche gegliedert: in die Auseinandersetzung mit Logos, TV- und Werbeästhetik, mit dem Designstandort Europa und mit der europäischen Kunstproduktion. Nebeneinander stehen, hängen und tönen Installationen, Gemälde und Architekturmodelle. Ergänzt wird die Ausstellung durch Diskussionen, Performances, Tanzevents, Workshops und eine freche Aktion der jugoslawischen Gruppe Skart, die in Baden-Baden, wie schon in anderen Städten, nach dem Motto „Your shit, your responsibility“ die Hundehäufchen mit kleinen Fähnchen markieren werden.

In der Kunsthalle selbst ist das Design vertreten: Im Hauptraum steht ein schmales, leidlich elegantes Elektroauto, das bis zu 120 Stundenkilometer fährt und den Schadstoffausstoß enorm verringern würde. Einen Raum weiter zeigt die dänische Architektengruppe Force 4 einen Wohnblock, der auf Stelzen steht. Darunter reinigen Weiden, Pappeln und andere Pflanzen die mit Öl vergifteten Böden, ein ökologisches Projekt, das in unserem engen Europa wegweisend ist: menschenfreundliches Lebensdesign, in Kopenhagen wird es gerade gebaut.

Ein anderer Raum der Kunsthalle dagegen stört den optimistischen Eindruck. Er ist vollständig mit einer Tapete aus arabesken Mustern ausgelegt, die vage an islamische, sich wiederholende, verschlungene Ornamente erinnern. Aber es ist eben keine Multikultitapete, die auf den ersten Blick an Moscheen erinnernde Kalligrafie benennt in Baden-Baden lauter Marken- und Supermarktnamen. Die tun zwar unschuldig ornamental, haben aber unser Leben längst gekapert. In diesem ebenso grotesken wie grandiosen Raum stellten Gunilla Klingberg und Peter Geschwind ein Häuschen aus Markenpappkartons auf (in Baden-Baden aus dem Discounter geholt), in dem ein Fernseher läuft. Zusammengeschnittene Werbefilmschnipsel sind mit Technomusik unterlegt: eine Orgie der akustischen und optischen Gewalt. Was machen wir? Augen und Ohren zu und durch, oder nichts wie raus? Leise mit den Füßen wippen? Widerstand leisten, sich ergeben? Aber das ist ja nun auch schon Alltag, nur ältere Mitbürger erinnern sich an werbearme Zeiten.

Nebenan ist es entspannter und ruhiger, Daniel Pflumm hat bekannten Logos ihre Namenszüge genommen und sie wieder auf ihre leuchtende, deutliche Bildlichkeit reduziert. Der Pole Wilhelm Sasnal zeigt das einzige Gemälde der Ausstellung, einen bleichgrauen, leeren Kühlschrank, der wie ein Symbol für die Osterweiterung steht. Auf Video hat er einen Loop mit Schulkindern aufgenommen, die auf ihrem Hof das A des Anarchismus darstellen und dann anarchisch durcheinander laufen wie alles und alle in Europa. Damit bietet er die überzeugendsten Arbeiten der Ausstellung, ebenso hintersinnig wie lustig.

Neue Ansichten von Europa, neue Übersichten über die europäische Kunst gibt es in der Kunsthalle Baden-Baden durchaus nicht. Aber als kleines Netz künstlerischer Positionen aus unterschiedlichen Regionen, als Anregung für Gedanken über unsere einzige gemeinsame Sprache, die der Werbung, und als Dialog zwischen jungen Künstlern ist die Ausstellung durchaus sehenswert.

Bis zum 16. Februar, Katalog 12 €, www.kunsthalle-baden-baden.de