Noch jemand ohne Glauben?

Die Mutter aller Schmerzen: Barfuß hielt Sinead O‘Connor Messe in der Arena in Treptow und läutete mit gälischen Traditionals ihren zweiten irischen Frühling ein

Auf den Klappstühlen in der Arena liegen Postkarten, bedruckt mit einer kurzhaarigen, grinsenden Dame in Rottönen, die ihren Hintern in eine grüne Wiese hält. „Jetzt in deinem Irish Pub zu hören!“, steht in einer Ecke, in der anderen „Sean-Nos Nua“. Das ist nicht der neue Name von Sinead O’Connor, sondern der Titel ihre neuen Platte, der sich auf die altirische Gesangstradition bezieht.

Ein neuer Name hätte aber durchaus gut zu der Irin gepasst, die für Pop-Business Verhältnisse gern alles falsch macht. Oder rückwärts. Zuerst hat sie mit einem Prince-Song einen Riesenhit (Nothing Compares 2 U). Dann zerreißt sie ein Bild des Papstes: klasse Promotion für sich selbst. Später leistet sie Abbitte und lässt sich von einem exkommunizierten Geistlichen zur Mutter Bernadette Marie O’Connor umtaufen. Wahrscheinlich war sie nie gegen den Papst, sondern für einen besseren. „Ich hab euch viele Gründe gegeben, mir nicht zuzuhören“ steht auf ihrer Homepage.

O’Connor steht auf ihre(n) Wurzeln, liebt Irland (und den Rapper Ice Cube) und möchte sich neuerdings um den irischen Folksong verdient machen, den sie mit Reggae anreichert. Sie will nicht, dass Bands wie Boyzone das Bild Irlands prägen.

Auf der Bühne trägt sie ein recht fettes Metallkreuz um den Hals. Darunter ein T-Shirt und eine ausgepluderte Hose, wie zum bequemen Rumlümmeln auf dem Sofa mit Blick auf die Schafe im Garten. Ihre Haare sind richtig lang geworden, so anderthalb Zentimeter. Natürlich steht sie barfuß auf einem flauschigen Teppich. Vielleicht ist die Halle deshalb so ungewöhnlich gut geheizt?

Gleich ihr erstes Stück ist eine softe Ballade, Peggy Gordon, laut Daily Telegraph eine „declaration of lesbian love“. Ihre derzeitigen sexuellen Präferenzen sind nicht so ganz klar, aber, wie sagte jemand neben meinem Klappstuhl: Ist doch auch egal. Toll ist aber, dass sich O’Connor zu ihrem „Desire for mothering“ bekennt. Vor allem für die, die ihre Kleinkinder auf den Schultern rumtragen. Später, als sie sich ganz ohne Band nur mit akustischer Gitarre („kann nicht gut spielen“) hinsetzt, sagt sie: das spiel ich, wenn ich meine Kinder zu Bett bringe. Bei solchen Statements laufen O’Connor nicht die letzten Fans weg. Nein, Frauen mit Tüchern um Kopf und Hals drehen sich sanft um die eigene Achse. Pärchen grabbeln aneinander rum und flüstern sich was ins Ohr.

Viele mögen ja auch ihre Stimme. Das Publikum auf dem Weg nach innen. Sinead ist die Wegweiserin. „Go where the spirit guides me“ singt sie. Viele spüren jetzt ganz stark die positive Energie, die von der Bühne rüberschwappt. Komisch nur, dass keiner vor Rührung heult. Doch Sinead ist schon beim nächsten Stop ihres Psychotrips: „Thank you for helping me, for healing me, for hurting me.“ Danach ist sie bestimmt noch barfuß draußen im Schnee rumgelatscht.

ANDREAS BECKER