Hör mal, wer da spricht

Das Stück „Unter Strom“ des Theaters Strahl erzählt in Zusammenarbeit mit der Charité und dem „Netzwerk Stimmenhören“ von den Menschen, die fremde Stimmen hören. Das muss nicht Teil einer psychischen Krankheit sein

Stimmen sichtbar zu machen, ist etwas, das dem Regisseur Johann Jakob Wurster schon lange vorschwebte. Seine Inszenierung „Unter Strom“, für die das Theater Strahl in die Maria am Ostbahnhof gezogen ist, erzählt die Geschichte einer ganz normalen Clique. Sechs Jungs und Mädchen treffen sich in Clubs, hängen zusammen ab, flirten, haben Spaß und kiffen. Ihre Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt, als einer von ihnen plötzlich auf einen krassen Film kommt: Max glaubt auf einmal, dass das Trinkwasser vergiftet ist und die Markierungen auf der Straße etwas bedeuten. Er will sich eine Waffe kaufen und eine geheime Mission erfüllen. Die Befehle dazu erteilen ihm Stimmen, die außer ihm niemand hört und die sich nicht mehr abstellen, nicht einmal von lauter Musik übertönen lassen.

Was ist passiert? Ist der Stress mit der Freundin schuld? Ist Max beim Kiffen hängen geblieben? Stimmenhören ist zunächst einmal eine von den besonderen Arten der Wahrnehmung, wie sie nach Auskunft des Netzwerks Stimmenhören e.V. etwa fünfzehn Prozent aller Menschen teilen. Drei bis fünf Prozent von ihnen hören Stimmen. Auch Rainer Maria Rilke, C. G. Jung und Andy Warhol sollen Stimmen gehört haben.

Dass dieses Phänomen nicht immer auf eine psychische Krankheit, eine Psychose, Schizophrenie oder Depression hindeutet, ist eine Erkenntnis, die sich nur langsam durchsetzt und längst noch nicht überall angekommen ist. Die Betroffenen sehen sich häufig Vorurteilen und Diskriminierungen ausgesetzt. Das mag auch daran liegen, dass das Stimmenhören bislang nur unzureichend erforscht ist und sich über die Ursachen nichts Sicheres sagen lässt. Niederländische Untersuchungen zeigen jedoch, dass man Stimmen, die laut oder leise, bedrohlich oder freundlich sein können, nicht „wegmedikamentieren“ muss, sondern dass man mit ihnen arbeiten und sogar sehr gut leben kann.

Mit Vorurteilen aufzuräumen, war Anlass für das Theater Strahl, sich in Kooperation mit der Charité, dem Früherkennungs- und Therapiezentrum für beginnende Psychosen (FETZ) und dem Netzwerk Stimmenhören e.V. damit auseinanderzusetzen. Eine Produktion über Stimmenhören unter Jugendlichen zu machen ist eine Herausforderung, handelt es sich doch um ein nicht alltägliches und äußerst differenziertes Phänomen. Ein trockenes Aufklärungsstück, wie man befürchten könnte, ist dabei aber nicht herausgekommen, im Gegenteil: Das Jugendtheater zeigt, wie man eine ernsthafte Problematik durchaus unterhaltsam, intelligent und witzig inszenieren kann, mit pointierten Dialogen und Slapstick-, Freestyle und Breakdanceeinlagen.

Die sechs jungen Darsteller legen ein enormes Tempo vor und parodieren auf humorvolle Weise besorgte Mütter, desinteressierte Lehrer und vernünftige große Schwestern. Sprüche wie: „Bekifft vertippe ich mich immer bei den SMS“ kommen beim überwiegend jugendlichen Publikum gut an. Auch die ungewöhnliche Spielstätte ist gut gewählt. Das Josef, der kleine Bruder des Clubs Maria am Ostbahnhof, liefert das passende Ambiente und ideale Bühnenbild für ein Theaterstück, das sich größtenteils in Clubs abspielt. Nur manchmal, wenn Fakten allzu direkt vermittelt werden, fühlt man sich einen Moment lang wie in der Schule. ASTRID HACKEL

Wieder am 14. und 23. Oktober und im Dezember