„Frauen sind kaum zum Zug gekommen“

Die Galerie Olga Benario erinnert an den 90. Jahrestag der Novemberrevolution 1918. Aus den damaligen Ereignissen könne man heute noch viel lernen, sagt Claudia von Gélieu vom Galerieforum

Die Galerie Olga Benario wurde 1984 von Mitgliedern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Verband der Antifaschisten in Neukölln gegründet. Sie ist benannt nach einer engagierten Berliner Kommunistin, die von den Nazis nach Jahren der Haft schließlich 1942 im KZ Ravensbrück ermordet wurde. Die nichtkommerzielle Galerie wird von einer ehrenamtlichen Gruppe, dem Galerieforum, geleitet, das Ausstellungen und Veranstaltungen zu historischen und aktuellen politischen Themen organisiert. SUG

taz: Frau von Gélieu, die Galerie Olga Benario macht eine Ausstellung zur deutschen Revolution 1918/1919. Woher kam die Idee?

Claudia von Gélieu: Wir haben vor 17 Jahren schon einmal eine Ausstellung dazu gemacht. Das heißt, eigentlich nicht wir, sondern eine Gruppe, die zum Thema Novemberrevolution arbeitet. Damals haben sie uns diese Ausstellung angeboten, und jetzt, am 90. Jahrestag, haben wir sie wieder gefragt. Es gibt ja auch noch andere Jahrestage, vor allem den 9. November 1938, also 70 Jahre Pogromnacht. Aber wir dachten, dazu machen sehr viele etwas, dieser Jahrestag ist gesellschaftlich viel anerkannter. Dagegen wird der 9. November 1918 viel weniger öffentlich beachtet.

Es gibt zu der Ausstellung auch ein Veranstaltungsprogramm. Was für ein Konzept steckt dahinter?

Für uns ist es immer wichtig, nicht nur eine Ausstellung an den Wänden hängen zu haben, sondern auch darüber ins Gespräch zu kommen, zu diskutieren. Diesmal ist das Programm sehr geschichtslastig. Aber es wird bei den Veranstaltungen darum gehen, darüber zu sprechen, warum die Zeit der deutschen Revolution heute noch von Belang ist.

Inwiefern ist sie denn noch von Bedeutung?

Erstens kann man lernen, dass es eine sehr halbherzige Revolution war, in der viele gesellschaftliche Fragen nicht gelöst wurden. Es gab ja Gruppen und Personen wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, über die wir auch Veranstaltungen machen, die weitergehende Forderungen gestellt haben – und nicht zuletzt deshalb ermordet worden sind. Das heißt, man kann darüber diskutieren, was gesellschaftlich verändert werden muss, was von den damaligen Forderungen noch aktuell ist. Man kann auch einiges daraus lernen, wie so eine Revolution überhaupt zustande kommt. Wir haben zum Beispiel eine Veranstaltung, wo es um die Massenstreiks von der Basis geht. Die Arbeiterklasse hatte sich ja gespalten wegen des Ersten Weltkrieges. Und die Mehrheits-SPD, die auch den Krieg unterstützt hat, hat auch versucht, die Revolution zu verhindern. Also, wir können lernen, wie Massenbewegungen entstehen können. Und man kann natürlich auch aus den Fehlern lernen.

Zum Beispiel?

In Neukölln wird das sehr schön deutlich: Da gab es einen Arbeiterrat, der immer wieder aufläuft bei den offiziellen politischen Gremien und sich nicht durchzusetzen weiß. Zum Beispiel erklären sich die Wohnungsbesitzer von Neukölln auch zu „revolutionären Organen“, sie nennen sich „Arbeiter, die ihr Geld mit Häusern verdienen“. Ich glaube zwar nicht, dass die Arbeiter darauf hereingefallen sind, aber viele dachten, jetzt, wo der Kaiser weg ist, wird alles gut. Dass man eine Revolution nicht an einem Tag machen kann, sondern immer weitergehen muss, das haben sie vernachlässigt.

Was passierte denn damals in Neukölln, wo Sie ja Ihre Galerie haben?

Es gab hier auch bewaffnete Auseinandersetzungen, das Militär besetzte ganze Straßenzüge, es gab viele Verhaftungen, viele Menschen mussten untertauchen, wie zum Beispiel Anna Deutschmann. Deren Enkelin erzählte mir, wie die Oma Waffen in der Dachrinne versteckt hat im Januar 1919, als es zu brenzlig wurde, und dann für eine Tage verschwand.

War Anna Deutschmann in einem Arbeiterrat?

Nein. Sie wurde später bei den Kommunalwahlen im März 1919 ins Stadtparlament von Neukölln gewählt. Frauen in Arbeiterräten gab es so gut wie nicht. Obwohl mit der Revolution das Wahlrecht für Frauen erreicht worden ist, sind sie damals bei den Linken kaum zum Zuge gekommen. Dabei haben sie ganz maßgeblich zur Revolution beigetragen – zum Beispiel mit dem großen Munitionsarbeiterstreik vom Januar 1918. Das waren natürlich die Arbeiterinnen. Das war der erste große Massenstreik in Berlin, 400.000 Rüstungsarbeiterinnen haben gestreikt. Aber in den entscheidenden Gremien saßen fast nur Männer.

INTERVIEW: SUSANNE GANNOTT

16. 10., 19.30 Uhr, Ausstellungseröffnung: „Steh auf, Arthur, heute ist Revolution!“, Momentaufnahmen der deutschen Revolution 1918/1919 Galerie Olga Benario, Richardstr. 104, Neukölln, Veranstaltungen jeden Donnerstag um 19.30 Uhr Infos: www.galerie-olga-benario.de