Ungeheuer bleiben schön

Toni Negri, italienischer Philosoph, Militanter, Sträfling, Autor des Theoriebestsellers „Empire“, äußert sich in Gesprächen zu allem, was ihm und der künftigen Rebellion Kopfzerbrechen bereitet. Für ihn sind die sozialen Bewegungen der privilegierte Träger von Veränderung, die positiven Impulse kommen aus dem Empire selbst

„Die Ungeheuer sind im Anmarsch.“ Negri/Hardt „Jede Erscheinung beweist ihre Notwendigkeit durch ihr Dasein.“ Spinoza

VON TANIA MARTINI

„Freiheit ist, wenn du nicht gezwungen wirst, zur Arbeit zu gehen und erfinderisch sein möchtest, gemeinsam mit anderen.“ Das klingt ebenso einfach wie umwälzend und vor allem nach einem fernen, vielleicht gar nie erreichbaren Zustand. Wer glaubt noch daran? Und können die gegenwärtigen Protestbewegungen überhaupt noch einen solch radikalen Anspruch hegen?

Für den italienischen Philosophen Antonio Negri besteht daran kein Zweifel. Und warum er keinen Zweifel daran hat, erklärt er in „Goodby Mr. Socialism“, einem 200 Seiten langen Gespräch mit Raf Valvola Scelsi. Der ist Lektor des italienischen Feltrinelli-Verlags. Negri sieht in der kritischen Globalisierungsbewegung, die mit den Protesten gegen den WTO-Gipfel in Seattle 1999, sichtbar wurden, das radikale Subjekt der Veränderung.

Durch die Kritik der alten Welt die neue zu erfinden, dies ist seit Karl Marx ein Vorsatz linker Theorie. Über die Art und Weise, wie der Übergang in eine befreite Welt vonstatten gehe, darüber wurde immer gestritten. Radikaler Reformismus, Sturm aufs Winterpalais, Fokustheorie et cetera. Mit dem Anbruch des sogenannten postkommunistischen Zeitalters 1989 wurden entsprechende Theorieansätze in den Mülleimer der Geschichte verbannt, es folgte das Diktat der Empirie. Seitdem war viel vom „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) die Rede, doch neuerdings ertönt angesichts der weltweiten Turbofinanzkrise auch die Rede vom Ende des Kapitalismus. Doch woraus könnte eine neue linke Agenda bestehen?

Können neomarxistische Theoretiker wie Toni Negri hier weiterhelfen? „Goodbye Mr. Socialism“ stellt eine Bestandsaufnahme der globalen Linken seit dem Ende der parteikommunistischen Regime dar. In 15 Kapiteln durchlaufen Scelsi und Negri die politischen Folgen der Globalisierung.

Im Gegensatz zu vielen radikalen Linken bedeutet Globalisierung für Negri nicht den Anbruch einer dunklen Ära. Vielmehr hofft er auch auf den Fortschritt gegenüber einer Welt aus konkurrierenden Nationalstaaten. Die Verschiebung der Souveränität von den Nationalstaaten hin zu einer darüber hinaus gehenden, weltumspannenden Ordnung ist für Negri auch eine demokratische Hoffnung.

Negri möchte den Nationalstaat nicht gegen den Dämon Globalisierung verteidigen, das macht er in dem Gespräch mit dem Feltrinelli-Lektor deutlich. Negri kritisiert die Tendenz vieler linker Bewegungen und linkssozialistischer Parteien, die bestehende Weltordnung im klassischen Muster des Imperialismus zu kritisieren und den nationalen Wohlfahrtsstaat zu betrauern.

Der gegenwärtige Übergang zur Ordnung des Empire verlaufe keineswegs harmonisch und werde von einer Neuzusammensetzung der Klassen bestimmt. Weltweite Kriege als „Polizeiaktionen“ durchgeführt, eingeschränkte Demokratie, der italienische Philosoph ist keineswegs nur optimistisch. Er setzt auf die Durchlässigkeit des Empires, dass sich im Inneren demokratisierende Gegenmächte entwickeln werden. Statt antikapitalistischer Phrase und Abgrenzung lotet er lieber entlang den unterschiedlichsten Konfliktlinien die neuen Möglichkeiten von Emanzipation aus. Eine Gegenmacht sieht er in der sogenannten Multitude, dem Bündnis der Minderheiten, den Diskriminierten, den freien Utopisten und den supranationalen Klassenkämpfern.

Seattle, Genua und Davos, migrantische Politiken und Strategien gegen Prekarisierung sind die Stichworte, an denen er das hoffnungsvolle Aufkeimen neuer Bewegungen darlegt. Einer Gegenbewegung, die sich „neue Formen wie auch neue Ausdrucksweisen“ gibt und vor allem „ohne gewerkschaftliche und politische Vertretung“ in losen Zusammenschlüssen agieren solle.

Negri hebt hier den Initiativencharakter hervor und die Rolle des Internets, wenn es um die Überwindung einer hierarchisch strukturierten Kommunikation und eine globale Vernetzung geht. Die alternative Globalisierungsbewegung habe weder eine gemeinsame Identität, wie das Konzept von Arbeiterklasse oder Volk dies immer unterstelle, noch die Uniformität einer bloßen Masse. So steht sie auch für den Entwurf einer Politik jenseits der Parteien und Gewerkschaften. Vielmehr gebe es kein Zurück zu den Widerstandsformen, die in einer Arbeitsgesellschaft entstanden, in deren Zentrum noch die Fabrik stand: „Wir sprechen von dem Bestreben, die raffiniertesten Formen bürgerlicher Repräsentation zu überwinden, die immer von oben verhängt waren.“ Und: „Ich bin überzeugt, dass die Multitude in den Metropolen das ist, was die Arbeiterklasse in der Fabrik war.“

Also doch bloß ein neues revolutionäres Subjekt? Negri meint: „Ich behaupte, dass die Effekte tiefgreifender und schlagkräftiger sind gerade aufgrund dessen, dass sie nicht umgehend repräsentiert wurden, und ich bin überzeugt, dass von vorne zu beginnen nicht bedeutet, rückwärts zu gehen, sondern das Neue zu erfinden.“

Seattle scheint auch deshalb ein so magisches Datum, und das nicht nur für Negri, weil bis dahin die Geschichte der sozialen Bewegungen nach 68 ab- oder unterbrochen schien.

In „Goodby Mr. Socialism“ ist Negris Bewertung der neuen Bewegungen von dem gleichen Pathos getragen, für das er seit „Empire“ und dem Folgeband „Multitude“, beide verfasst mit dem US-amerikanischen Literaturtheoretiker Michael Hardt, immer wieder angegriffen wurde.

Seattle, so sagt er, „gründete inhaltlich auf dem Gewahrwerden einer Modifizierung von Arbeit, aber die Linke hat es nicht fertiggebracht, diese Veränderung auch nur im Minimalsten zu interpretieren.“

Diese Modifizierung von Arbeit im postmodernen Kapitalismus beruhe auf der neuen Bedeutung der „immateriellen Arbeit“. Das heißt: Kommunikation, Sprache, Kreativität und Wissen werden die zentralen Faktoren im heutigen Produktionsprozess.

Und: In der gegenwärtigen Form der gesellschaftlichen Regulation, so die Vorstellung, werde den Subjekten eine so hohe Selbstorganisation abverlangt, die sie auch umgekehrt in den Kämpfen fruchtbar machen könnten. Die Bühne, auf der die neuen Kämpfe stattfänden, seien die Metropolen mit ihren Kulturarbeitern und Banlieues.

Doch insgesamt bleibt Negris Auseinandersetzung mit „der“ Bewegung vage. Seine Untersuchung spiegelt letztlich die Schwäche der Bewegung selbst. Was ihm jedoch auch in dem kleinen englischsprachigen Gesprächsband gelingt, ist, auf der metatheoretischen Ebene für einen neuen Gesellschaftsentwurf zu werben.

Das Bestehende ist schließlich nicht genug. Und eine wirksamere Bewegung wird es vielleicht ohne die Kraft einer neuen Erzählung nicht geben. Für eine Wiederbelebung der Linken, das Ungeheuer neu zu erzählen, dafür bietet Negri wichtige Hinweise.

Antonio Negri: „Goodbye Mr. Socialism. Antonio Negri in Conversation with Raf Valvola Scelsi“. Seven Stories Press, London 2008, 256 Seiten, 10,99 €