Der Doktor und der Abschaum

Einen Berichterstatter und Aufmöbler wie diesen hat der jetzige US-Wahlkampf nicht: Zwei neue Bücher machen die großen Reportagen des Erfinders des Gonzo-Journalismus, Hunter S. Thompson, zugängig. Paranoische Tritte eines scharfsichtigen Outlaws gegen das brüchige Gefüge der US-amerikanischen Gesellschaft

„Das schulden wir uns selbst und unserem angeschlagenen Selbstwertgefühl, dass wir etwas Besseres sind als eine Nation von in Panik geratenen Schafen.“ Hunter S. Thompson

VON FRANZ DOBLER

Ein paar Verleger gibt es schon noch, die genug Mut und Leidenschaft haben, um Bücher ins Rennen zu werfen, bei denen ein echt smarter Marketingverleger müde abwinkt, denn der Blumentopf, den du damit gewinnen kannst, ist zu klein, um darin bequem schlafen zu können.

Mit dem so genannten Kultautor Hunter S. Thompson scheint sich die Bemerkung nicht verbinden zu lassen – aber der Erfinder des Gonzo-Journalismus war in Deutschland vergessen, sein Werk verrottet im Schatten von „Fear and Loathing in Las Vegas“, als kurz vor seinem Selbstmord 2005 die Verlage Blumenbar, Heyne und Tiamat anfingen, das leer geschossene Magazin neu aufzuladen – bahnbrechende Reportagen wurden wieder aufgelegt, der Klassiker „Hell’s Angels“ endlich übersetzt und eine brillante Kleinigkeit wie „Screwjack“, seine letzten Arbeiten „Königreich der Angst“ und die Sportkolumnen „Hey Rube“ bewiesen, dass der Bush-Feind Nr. 1 in Amerika zu Recht seinen Ruhm behalten hatte –, und dafür sollte man diesen Verlagen ein paar Salven in die Luft spendieren. Zumal wenn man wie ich mit ihnen zu tun hat und dieses schöne Wiederentdeckungsmärchen gerade zwei neue Folgen bekommen hat.

Zwanzig Jahre später mochte Thompson sein Markenzeichen „Gonzo“ nicht mehr. Das Gebiet war zugemüllt mit verrücktem Gelaber, erfundenem Promitalk, kicherndem Drogengewäsch. Sein originaler Gonzo-Stil kam zwar mit allen Verrücktheiten geflogen, aber er war immer mit seiner politischen Wut verbunden, die sich in der Anti-Vietnam- und liberalen Gegenkultur aufgeladen hatte. Seine lebenslängliche „Fear and Loathing“-Serie war ein Abgesang auf das Countercultural Movement, ein Klagelied über den untergehenden amerikanischen Traum und zugleich Warnruf vor seinen Totengräbern. Denen er nicht mit der üblichen, letztlich immer manierlichen Politjournalismus-Sprache gegenübertrat: Auch im Nachruf auf seinen Lieblingsfeind, Expräsident Nixon, nannte er ihn wie schon zu Lebzeiten einfach nur „evil bastard“.

Mit dieser Courage zur offenen Attacke hat sich diese hochgebildete Mischung aus Spaßguerillero, Drogen-, Football- und Politfreak für den Rolling Stone 1972 ein Jahr lang ins Zentrum des Irrsinns gestürzt, um über „Angst und Schrecken im Wahlkampf“ zu berichten. Zunächst über die Vorwahlkämpfe der Demokraten und speziell ihren Außenseiter, den Kriegsgegner McGovern, dann über dessen unerwartetes Duell gegen Präsident Nixon. In diesen Kreisen sind der Journalist und sein Magazin so was wie Straßenköter, er bekommt fürs Weiße Haus keine Akkreditierung, im Tross der Profipolitschreiber ist er der exotische Querschläger. „Was meine Objektivität betrifft … nun, mein Arzt sagt, sie sei immer mehr angeschwollen und dann vor zehn Jahren geplatzt.“ Und wie es das Gesetz Gonzo befiehlt, wird alles geliefert: das Gemauschel und Geschwätz der Politiker, Journalisten, Wähler und die Befindlichkeiten, Aussetzer und Streiche des Autors sowieso; dazu Belangloses, ausufernde Analysen, historische Rückblenden, Interviews, Berichte von Kollegen und die Sätze, die mit einem „ganz unter uns gesagt“ beginnen. Eine große Schrift zur Verteidigung des Menschen gegen die Politik. Ein fast 600 Seiten lang detailwahnsinniger, historischer US-Bericht aus dem schmutzigen Geschäft, der für uns Krauts vor allem deshalb lesbar bleibt, weil Thompson immer wieder so böse und saukomisch ist.

Die Reportagen, die in „Die große Haifischjagd“ gepackt wurden, sind in den Jahren nach dem Wahlkampf entstanden, mit dem sich „der Doktor“ endgültig die Position des Stars unter den amerikanischen Journalisten erobert hatte. Während gleichzeitig die Gerüchte aufkamen und stärker wurden, er sei ausgebrannt, habe nur noch Abklatsch zu bieten, setze riesige Vorschüsse in den Sand. Der stumpfsinnige Ruf nach der permanenten Wiederholung der „Fear and Loathing“-Kracher sollte nie wieder verstummen. „Gefangener von Gonzo“ nannte Paul Perry dieses Kapitel in seiner Biografie: Manchmal gab er den gewünschten zugedröhnten Krawallmacher, und eitel-öde Routine konnte, welche Überraschung, ebenso passieren wie völliges Versagen. Aber ein Schreiber, der sich nicht wünscht, derart ausgebrannte Texte wie in der „Haifischjagd“ zu schreiben, muss ein Idiot sein (oder verhaftet in der Welt der Literaturbastelbienen). Der Sog, mit dem er sich in „Der letzte Tango in Vegas“ dem Boxer Muhammad Ali nähert, um dann in seinem Umfeld buchstäblich einzubrechen, ist unwiderstehlich. Die erwartete Upper-Class-Story über „Die große Haifischjagd“ für den Playboy funktioniert er zu einer demaskierenden Sozialreportage um. Und in seinem Kampf gegen politischen „Abschaum“ zeigt sich keine Müdigkeit, nur ein härterer Pessimismus.

Den Erfolg der frühen 70er hat Thompson nie wieder erreicht; in seinem letzten Buch kann man sich davon überzeugen, dass er auch mit kurz vor 70 nichts von seinen Qualitäten, sei es die Selbstironie, der drastische Humor oder der pragmatische Einsatz für ein Justizopfer, eingebüßt hatte. Und mit diesen beiden Neuveröffentlichungen sitzt man fassungslos da: Was müssen das für Zeiten gewesen sein, als sich sogar ein so großer Autor derart exzessiv in Magazinen ausschreiben konnte. Und fragt sich, welche verdammte Zeitung man denn morgen lesen sollte.

Hunter S. Thompson: „Angst und Schrecken im Wahlkampf“. Aus dem Englischen von Teja Schwaner. Heyne Verlag, München 2008, 576 Seiten, 9,95 €ĽHunter S. Thompson: „Die große HaiĽfischjagd. Und andere seltsame BerichĽte aus einer unruhigen Zeit“. Aus dem ĽEnglischen von Teja Schwaner. Edition Tiamat, Berlin 2008, 416 Seiten, Ľ19,80 €