Durchgeknallte Utopien

Rückzug ins Private: Etgar Kerets neuer Erzählungenband „Mond im Sonderangebot“

Reuven Schriki hat es geschafft. Er fährt teure Sportwagen und ist mit einem französischen Model liiert, das sich nackt für Magazine ablichten lässt. Die Ursache seines Erfolges ist eine bis ins Extrem gesteigerte Gewöhnlichkeit. Er hat keine genialen Einfälle und kein Talent, er sieht nicht überdurchschnittlich gut aus und ist auch nicht besonders eloquent. Er hat nur eine einfache Erfindung gemacht und Oliven mit Oliven gefüllt anstatt mit Paprikastücken oder Mandeln. In einem Fernsehinterview wird er gefragt, ob er meine, dass viele danach strebten, so wie er zu sein. „Sie brauchen nicht danach zu streben“, sagt er, „sie sind schon so wie ich.“

In Etgar Kerets tatsächlich wundervollem Erzählband „Mond im Sonderangebot“ ist Schriki eine Symbolfigur, einer, „der es gewagt hat, Träume zu verwirklichen, die sich die meisten von uns nicht einmal zu träumen trauen“. Schriki könnte Kerets Alter Ego sein, wenn er nur ein wenig unkonventioneller und geistreicher wäre. Denn während Schriki die eine Idee lediglich auf unterschiedliche Weise vermarktet, lässt sich Keret immer wieder etwas Neues einfallen.

Viele seiner Geschichten wirken wie Wünsche, die in Erfüllung gegangen sind. Da gibt es die Freundin, die nachts zu einem fetten, ordinären Mann mutiert, mit dem man durch Kneipen ziehen und Fußball schauen kann. Oder den zwergenhaften Geheimagenten, der einen sofort mit neuen Frauen versorgt, sobald die alte Schluss gemacht hat.

Aus dem „Busfahrer, der Gott sein wollte“ – so der Titel von Kerets letzter Kurzgeschichten-Sammlung –, ist inzwischen ein Taxifahrer geworden, der seine Insassen mit dummen Sprüchen versorgt: „Es gibt echt nichts wie die Brüste von einer Achtzehnjährigen, glaub mir, wenn du pro Tag ein oder zwei solche flachlegst, dann verschwindet dir die Glatze.“ Kurz darauf fängt er an zu weinen. Stärker als in den frühen Erzählungen „Gaza Blues“ und „Pizzeria Kamikaze“ schwingt hier immer auch eine unterschwellige Trauer mit. Die Erfahrung von Schmerz und Verlust ist vielen Figuren eingeschrieben, und es gelingt Keret, ihre Abgründe zu zeigen, ohne pathetisch oder moralisch zu werden.

Die Slacker und Studenten, Rekruten und Angestellten, die Kerets Geschichten bevölkern, sind älter geworden, stolpern aber immer noch durch eine kaputte Welt. Sie gehen jetzt jedoch kein Risiko mehr ein, essen Schawarma, rauchen Joints und glotzen den Mädchen hinterher, als gäbe es keinen Krieg im Nahen Osten.

Mit Beginn der zweiten Intifada ist das Leben in Israel klaustrophobischer geworden. Viele Menschen meiden Massenveranstaltungen, öffentliche Verkehrsmittel und Diskos aus Angst, ein palästinensischer Selbstmordattentäter könnte unter ihnen sein. Dieser Rückzug ins Private spiegelt sich auch in Etgar Kerets Erzählungen. Man verabredet sich in Wohnungen anstatt in Cafés oder Bars und sonnt sich lieber nackt im eigenen Garten als in Shorts und Bikini am Strand von Haifa oder Tel Aviv.

„Mond im Sonderangebot“ ist intim und gefühlvoll, rebellisch und absurd. Kaum eine der 33 Erzählungen ist länger als ein paar Seiten. Es sind kurze Prosastücke, kunstvolle, poetische Miniaturen, die alltägliche Begebenheiten wie durchgeknallte Utopien des Glücks erscheinen lassen. Der Plot wird rasant und pointiert erzählt, und die meisten Geschichten haben ein Happy End, was in harten Zeiten wie diesen zur Abwechslung ja auch mal ganz angenehm sein kann. JAN BRANDT

Etgar Keret: „Mond im Sonderangebot“.Aus dem Hebräischen von Barbara Linner.Luchterhand Literaturverlag, München 2003,204 Seiten, 17,50 Euro