US-Überwachung treibt Muslime in die Flucht

Seit die US-Behörden Männer aus islamischen Ländern systematisch vorladen, suchen immer mehr Asyl in Kanada

Oft schicken Kanadas Grenzer Fliehende zurück – in die Arme der US-Behörden

WASHINGTON taz ■ Sie warten zu Hunderten an der Grenze zu Kanada: Pakistanische Familien aus den USA, die beim nördlichen Nachbarn politisches Asyl suchen. Mehrere tausend sollen bereits seit Jahresbeginn die Vereinigten Staaten verlassen haben. Sie fliehen vor einer Operation, die sich „spezielle Registrierung“ nennt und in den Einwanderer-Vierteln von New York bis Los Angeles für Nervosität und Panik sorgt. Immigranten, die in den USA ein neues Zuhause fanden, stehen plötzlich vor der Entscheidung Flucht oder Abschiebung.

Seit vergangenen Dezember verlangt die US-Einwanderungsbehörde, dass sich männliche Einwanderer aus 25 Staaten im Nahen und Mittleren Osten registrieren lassen. Sie werden fotografiert, ihre Fingerabdrücke genommen, und sie müssen sich in Interviews detaillierten Fragen über ihr privates und berufliches Leben stellen.

Jeden Monat gibt es ein Ultimatum für bestimmte Ländergruppen. Zuerst mussten sich Einwanderer aus dem Iran, Irak und Syrien melden. Gestern hätte die Frist für rund 14.000 Männer aus Pakistan und Saudi-Arabien ablaufen sollen; sie ist nun um einen Monat verlängert worden.

Aus Angst vor Festnahmen wählen viele Familien die Flucht. Die Sorge ist begründet, da gleich zu Beginn der Registrierungswelle allein in Los Angeles rund 500 Iraner verhaftet wurden. Die Zahl der seither insgesamt Internierten ist nicht bekannt. Noch mehr fürchten sie jedoch die Deportation in ihre Herkunftsländer.

Murtaza Khan zum Beispiel kam vor acht Jahren aus Pakistan nach Washington. Das Leben in seiner Heimat, berichtete er, sei unerträglich geworden, als seine Frau anfing für eine Fluggesellschaft zu arbeiten – ein Tabubruch, da Frauen der Kontakt zu fremden Männern untersagt ist. Khans drei Töchter wurden in den USA geboren. „Wir haben alle unsere Brücken in unsere Heimat abgebrochen“, sagt er. „Niemals dachten wir, diese Situation ist in Amerika möglich.“

In den Grenzstädten der US-Bundesstaaten New York und Michigan sind die Notunterkünfte überfüllt. Hilfsorganisationen verteilen Nahrungsmittel, leisten medizinische Hilfe und Rechtsbeistand. Die kanadischen Grenzbeamten sind völlig überfordert mit dem Ansturm. Oft sehen sie keine andere Möglichkeit, als die Menschen zurückzuschicken. Zurück auf der anderen Seite, laufen sie dann genau der Behörde in die Arme, vor der sie fliehen wollten.

Wer es dennoch nach Kanada schafft, auf den wartet ein einjähriges Asylverfahren, bei dem rund die Hälfte der Anträge angenommen werden. Den Rest erwartet das alte Schicksal in den USA.

Sieben Millionen Menschen leben in den USA illegal, mit abgelaufenem oder gar keinem Visum. Bis zu den Terroranschlägen am 11. September 2001 war jedoch diese Form der Illegalität kein Problem. Das Land, angewiesen auf billige Arbeitskräfte, nahm Immigranten dankbar auf. Viele Latinos bekamen sogar Arbeitsgenehmigungen. Dieser kulante Umgang änderte sich jedoch mit den Terroranschlägen. Seither geht das Justizministerium aggressiv vor allem gegen illegale Einwanderer aus muslimischen Staaten vor, die im Ruf stehen, Terroristen zu beherbergen.

Die Zahl der insgesamt internierten Einwanderer ist nicht bekannt

Doch ähnlich wie die Masseninterviews mit arabischstämmigen Männern im letzten Jahr, in deren Folge rund 1.200 Menschen ohne Anklage verhaftet wurden, entwickelte sich die Meldepflicht zu einem weiteren PR-Desaster für die Bush-Regierung. Scharfe Kritik üben US-arabische Organisationen, Bürgerrechtsgruppen und Kirchen. Das Programm sei schlecht organisiert und Einwanderer würden aufgrund geringster Verstöße gegen Einreisebestimmungen festgenommen. Viele der Inhaftierten hätten zudem längst Aufenthaltsgenehmigungen beantragt, dank schleppender Bearbeitung jedoch nicht erhalten.

Terrorexperten glauben, der Schaden sei größer als der Nutzen. „Die bloße Sammlung enormer Datenmengen hilft nicht weiter, vor allem bei einer Behörde, die für ihr chronisches Chaos bekannt ist“, sagt Juliette Kayyem von der Harvard University. Es sei absurd zu hoffen, Terror lasse sich so stoppen.

Ende April endet die Registrierungspflicht für Immigranten aus Bangladesch, Indonesien, Kuwait, Ägypten und Jordanien. Dann werden sich auch aus diesen Gruppen Hunderte auf den riskanten Weg nach Kanada machen. MICHAEL STRECK