crime scene
: Rolo Diez‘ mexikanischer Krimi „Der Tequila-Effekt“

Sex, Bier und Pesos

Es wäre blödsinnig und unverzeihlich, eine weitere Kolumne mit der universalen Beschwörungsformel beginnen zu lassen. Dennoch: In Zeiten wie diesen (!) braucht die Welt (!) nichts weniger als blödsinnige Metaphern.

Aber die Welt braucht auch nichts weniger als geschwätzige Icherzähler, die formulieren wollen, was die Welt in Zeiten wie diesen braucht. Was uns ohne Umschweif zu Rolo Diez bringt. Ein Schriftsteller, der mit suggestiver Kraft von einem Ich erzählt, das sich, losgelöst von Raum und Zeit, beinah triebhaft nur um die eigene Achse dreht. Für seinen Carlos Hernández soll die Welt ruhig untergehen, solange nur das Bier die richtige Temperatur hat. Doch aus irgendeinem Grund gelingt es weder Ehefrau Lourdes noch der Dauergeliebten Gloria, ihn mit dem richtig temperierten Bier zu wecken. Entweder es ist zu warm oder zu kalt. Und das früh morgens. So kann der Tag nichts werden. Hernández schlägt sich als Polizeioffizier durchs Leben. Zu seinen Tätigkeiten bei der „OB“ zählen heikle Angelegenheiten, delikate Tatbestände und Korruption – Letzteres in der aktiven Rolle. Geldwäsche und das Einfordern von Schutzgeld oder „Gewinnbeteiligungen“ zählen zu seinen von oben abgesegneten und zumeist auch eingeforderten Nebentätigkeiten.

Dabei bildet Mexiko-Stadt mehr als die stereotype Kulisse, vor der sich die Geschichte mit der wuseligen und gedrängten Dramaturgie eines Groschenheftes entspinnt. Die Stadt, in der das Überqueren einer Straße schon mal eine Stunde in Anspruch nehmen kann, ist in ihrer desaströsen Struktur der perfekte Ort für den latent planlos wirkenden Hernández und seine unüberschaubar verästelten Geschäfte.

Seine Grundbedürfnisse breiten sich aus wie eine Pfütze Erbrochenes. Zu viel Geilheit und zu wenig Schlaf. Zu wenig Geld und zu viel Verantwortung. Sex & Bier & Pesos. In der universellen Sprache der Rapper hieße das, „Shit gets hectic“. Besonders wenn Geschäftsmänner in Stundenhotels von blonden Transvestiten ermordet werden – und wenn aus der pornografischen Schneewittchen-Szene am Anfang des Buches ein anderer Geschäftsmann als graue Schmuddel-Eminenz heraustritt. Delikaterweise bekommt das Ganze im weiteren Verlauf der Geschichte dann noch den fahlen Nachgeschmack von Nekrophilie …

Das wird alles böse enden: „Verehrt und verdammt, wie die Mörder und Heiligen, verabschiedete sich Carlos Hernández von Normalität und Langeweile, verzichtet auf Fernsehen und Diskurse, auf Uhren und Almanache (…). Er ist nur noch der Freund von Katzen und Säufern, von Verdammten und Obdachlosen, von Prostituierten und Homosexuellen, von Kommunisten und Verteidigern der Menschenrechte, von Guerilleros und Feministinnen, von Parias und Bankräubern, von Kiffern und Befreiungstheologen, von Zapata und Pancho Villa und von niemandem, der einen Anzug, Schlips und Aktentasche trägt, er verachtet das Samborns, die Postmoderne, die Meinung des Präsidenten und Hollywoodfilme, ist gelangweilt von den Maisbauern, müde, endgültig überdrüssig, ein Polizist zu sein, Carlos Hernández beobachtete neugierig, wie sich ein bläulicher Schleier über die Dinge legte, es wird wohl langsam dunkler, denkt er, ihm behagt das Gefühl, dass sein Kommandant Angst hat.“ Aber noch liegt ein Viertel der Geschichte vor ihm …

Der 63-jährige, in Argentinien geborene Rolo Diez wurde unter der Militärdiktatur inhaftiert und lebt heute als Drehbuchautor, Journalist und Schriftsteller in Mexico-City. Seine Bücher waren in Argentinien lange Zeit verboten. In Europa veröffentlichte er bisher nur in Spanien und Frankreich. „Der Tequila- Effekt“ ist sein erster Roman in deutscher Übersetzung. Gemeiner Trash: Ähnlich habe ich mich zuletzt mit Boris Vians „Ich werde auf eure Gräber spucken“ und Jim Thompsons „Zwölfhundertachtzig schwarze Seelen“ amüsiert. LARS BRINKMANN

Rolo Diez: „Der Tequila-Effekt“.Aus dem Spanischen von HorstRosenberg. Distel, Heilbronn 2003,181 S., 10,80 €