zwischen den rillen
: Die künstlerische Freiheit vor dem reinen Material

Made in Mali: Die Sängerinnen Rokia Traoré und Oumou Sangaré stehen für zwei Formen des Umgangs mit der Tradition

Aus jedem Radiogerät in Mali dröhnte vor gut zwei Jahren Oumou Sangarés Kassette „Laban“. Sie selbst verkaufte sie vom Pick-Up herunter, und schon nach zwei Tagen waren 50.000 Exemplare weg. Trotzdem dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis ihre Plattenfirma World Circuit in London sich durchringen konnte, die neuen Aufnahmen ihrer malischen Star-Sängerin zu veröffentlichen. Den Hütern eines akustisch-traditionellen Sounds, die den Buena Vista Social Club zu Ruhm gebracht haben, waren die Songs schlicht zu poppig.

Sie schickten die Sängerin zur Nachbereitung ins Studio. Doch Oumou Sangaré wollte auf moderne Keyboardsounds und eingestreute Beats aus dem Drumcomputer nicht verzichten. Nach ihrem letzten, sehr traditionell geratenen Roots-Album „Worotan“ hatte sie endlich etwas aufgenommen, wozu in den Clubs von Bamako auch getanzt werden konnte. Von ihrem Hit „Yalla“ war ganz Mali begeistert.

Schließlich rang man sich bei World Circuit dazu durch, einige der neuen Aufnahmen zu veröffentlichen – aber in Form einer Doppel-CD und ergänzt durch älteres Material, sodass der generelle Eindruck einer eher traditionell orientierten Künstlerin bestehen bleibt. In der für sie typischen Form macht sich Oumou Sangaré, die in Mali als feministische Instanz gilt, auf „Oumou“ wieder für Frauenrechte stark und gegen die polygame Ehe. Der berührendste Song ist dabei „Magnamako“, in dem sie von ihrer Mutter und deren Leben erzählt und von einer Zeit, als sie selbst noch nicht ein gefeierter Star war, sondern kleine Plastiktüten mit Wasser in den Straßen von Bamako verkaufte.

Wenn Oumou Sangaré in Mali ein Popstar im klassischen Sinne ist, mit beiden Füßen in einer lokalen Tradition verwurzelt, steht Rokia Traoré eher für die individualistische Songwriterin nach westlichem Vorbild: nicht einem Massenpublikum, sondern allein dem persönlichen Ausdruck verpflichtet. Das Cover ihrer neuen CD „Bowmboi“ zeigt sie mit kurz geschorenen Haaren, auf ihren Kopf sind abstrakte afrikanische Muster gestempelt. Mit ihren ungewohnten Arrangements unterscheidet sie sich von allen anderen Musikern Malis: Sie kombiniert Instrumente, Melodien und Rhythmen unterschiedlicher Ethnien frei miteinander und erfindet so eine Art folklore imaginaire. Auf die Traditionen ihres Landes blickt sie mit der Distanz einer modernen Künstlerin, die als Diplomatentochter zwischen Belgien und Afrika aufwuchs.

Ihr Ehrgeiz und die Mühe, die sie in ihre akustischen Kompositionen investiert, haben sie schnell in die Oberliga der malischen Künstler katapultiert. Ihre Haltung der Musik gegenüber aber ist ungewöhnlich für die afrikanische Musikszene: die Akribie der Arrangements, die Perfektion der Performance, die gezielte Auswahl der Musiker.

In Mali erfüllen Musiker meist noch zuallerst eine soziale Funktion, und in der Volksmusik geht es nur bedingt um Virtuosität. Rokia Traoré dagegen möchte die Musik als Kunstform respektiert wissen, den traditionellen Kontext übergeht sie zu Gunsten des reinen Materials. Und nicht nur mit den zwei Songs, die sie mit dem Kronos Quartett in San Francisco eingespielt hat, dürfte sie damit ein kosmopolitisch beflissenes Publikum begeistern.

In Mali fragen sich dagegen manche, was das soll. Rokia Traoré wagt einen Drahtseilakt, wie sie in einem ihrer Songs eingesteht; nicht jeder kann mit ihrem freihändigen Umgang mit der Tradition etwas anfangen. Stellenweise steht sie auch noch auf etwas wackeligen Beinen.

Oumou Sangaré dagegen steht fest in ihrer Tradition. Mühelos fließen die Melodien, jeder Ton sitzt. Revolutionär mag das nicht sein. Dass ausgerechnet ihre Experimente mit technischen Innovationen ihrer Londoner Plattenfirma nun zu modernistisch erschienen, stellt eine der vielen Ironien des Kulturtransfers aus Afrika dar.

JAY RUTLEDGE

Oumou Sangaré: „Oumou“ (World Circuit, 2-CD); Rokia Traoré: „Bownboi“ (Indigo/EFA)