Elite-Universitäten? Man kann’s ja mal versuchen!

Eine Amerikanisierung der deutschen Bildung muss man weder befürchten noch als Weg in eine universal gebildete Gesellschaft herbeisehnen. Elite-Unis werden die Bildungsmisere nicht vertiefen und die Universitätslandschaft auch nicht reformieren. Aber sie könnten ihr etwas Neues hinzufügen. Und wenn es schief liefe? Dann ginge die Welt auch nicht unter

VON NICO PETHES

Die gute Nachricht zuerst: In Deutschland soll verstärkt in Bildung investiert werden. Die reflexartige Abwehr, mit der in den vergangenen Tagen auf die SPD-Initiative zur Etablierung von „Eliteuniversitäten“ in Deutschland reagiert wurde, hat diese begrüßenswerte Wende im jüngsten Sparwettstreit nahezu vergessen lassen. Deutschland hat derzeit eine Regierung, die nicht selten den Anschein erweckt, Reformen um des Reformierens willen auf die Tagesordnung zu setzen. Es verfügt aber auch über eine nicht unbeträchtliche Zahl von Berufskritikern, die sich darauf spezialisiert haben, jedem Reformvorschlag hämisch die Liste seiner Unzulänglichkeiten vorzuhalten.

Ein produktives Diskussionsklima ist das kaum. Selbst wenn die Idee Unzulänglichkeiten aufweist – was sie bei ihrer derzeitigen Abstraktheit kaum vermag –, der Ist-Zustand der Universitäten ist in einem Ausmaß unzulänglich, dass das Argument kaum verfängt. Die Kritiker von der CSU bis zum linken SPD-Flügel werfen dem Vorstoß von SPD-Generalsekretär Olaf Scholz und Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn vor, er setze nicht da an, wo der Bildungsnotstand am größten sei: an den Massenuniversitäten. Dem könnte man entgegenhalten: Um die Situation der Massenuniversitäten zu verbessern, würde wesentlich mehr Geld benötigt, als es die angedachte Erhöhung von 2,5 auf 3 Prozentpunkte des Inlandsproduktes möglich machte.

Womöglich wäre es tatsächlich sinnvoller, das Geld punktuell zu investieren. Den Zustand an den Massenuniversitäten würde das nicht verbessern – allerdings auch nicht verschlechtern und dabei andernorts die Chance für ein wahrnehmbares Plus an Bildung und Forschung bieten.

Diese Hoffnung klammert sich in den Weimarer Erklärungen an zwei Begriffe: Das ist zum einen die „Elite“, dem – anders als in Frankreich oder den USA – in Deutschland ein Beigeschmack von Arroganz und Ausgrenzung anhaftet. Besonders erstaunlich ist, wie unbeschwert die Reform-Fraktion der Regierung diese Elite mit ihrem neuen Kampfbegriff „Innovation“ in Verbindung setzt. Elite soll Innovationen befördern, und gerade in Weimar muss die Frage erlaubt sein, was bei diesem Verständnis von Humboldts Bildungsverständnis übrig bleibt, der Elitenbildung auf das Gegenkonzept zur Innovation verpflichtet wissen wollte, die Tradition. Wird es an einer Elite-Universität noch Raum für geisteswissenschaftliche Reflexion geben? Oder geht es nur noch um die „Entwicklung eines Internets der zweiten Generation und die Entwicklung von energiesparenden und umweltverträglichen Fahrzeugen, Antrieben und Verkehrsleitsystemen“, wie Bulmahn verkündet?

Das Modell der Elitehochschule wirbt mit dem Erfolgsrezept „nach amerikanischem Vorbild“. Hat Amerika es in Bildungsfragen wirklich besser? Ja. Das musste man sich hierzulande in einem schmerzhaften Prozess, an dessen Ende die Pisa-Studie stand, zähneknirschend eingestehend. Aber kann man ein gesellschaftlich implementiertes Modell wie die Bildung von einer Gesellschaft in die andere transferieren?

Die Reflexe gegen eine Orientierung an Amerika gleichen den erwähnten gegen Reformvorschläge. Doch wird sich niemand, der zum Beispiel unter den Palmen und Säulengängen des Stanford University Campus im kalifornischen Palo Alto schreitet, des Eindrucks erwehren können, dass hier tatsächlich ein anderer akademischer Wind weht als in Bochum, Mannheim oder Frankfurt (Oder). Stanford ist, was die Aura des Campus, das Renommee der Lehrenden und die Leistung der Studierenden angeht, Elite. Und es ist – was eine interessante Parallele zum SPD-Gedankenmodell darstellt – von vornherein als solche konzipiert worden. Was uns heute Amerika ist, war am Ende des 19. Jahrhunderts die Ivy League an der Ostküste. Leland Stanford stiftete 1885 sein Vermögen, um dieser Vorherrschaft im Westen etwas Substanzielles entgegenzusetzen. Wer derzeit verkündet, Elite sei nicht planbar, müsste durch die Auflistung von Stanfords Nobelpreisträgern eines Besseren belehrt werden.

Der Vergleich hinkt allerdings auf zwei Beinen: Auf der einen Seite ist er über hundert Jahre alt. Auf der anderen muss man sehen, auf welcher Grundlage die Stanforder Erfolgsgeschichte möglich war. Die Antwortet lautet: Geld, Geld und nochmals Geld. Während meiner Zeit als Gastwissenschaftler in Stanford lancierte der Hewlett-Packard-Konzern mal eben eine Spende über 50 Millionen Dollar. Der HP-Gründer hatte selbstredend in Stanford studiert. Rechnet man das Stiftungskapital und die beträchtlichen Studiengebühren hinzu, dann wird deutlich, warum sich Stanford eine schier unüberschaubare Zahl an Forschern mit Weltruhm für eine durchaus überschaubare Zahl von Studierenden leisten kann.

Elite ist das Ergebnis aus viel Geld und guten Betreuungsschlüsseln. Wer sie nach amerikanischem Vorbild will, muss für international renommierte Forscher auch Gehälter bezahlen, die die üblichen deutschen Beamtentarife übersteigen. Und mit direkten Verbindungen von der Forschung zur Wirtschaft leben, die ihre Freiheit im hiesigen Verständnis nicht selten unterläuft. Und auch damit, dass man mehr Geld für weniger Studierende ausgibt – das heißt massive Zugangsbeschränkungen zu den Hochschulen einrichtet, die jedem Brandt-treuen Bildungspolitiker die Haare zu Berge stehen lassen.

Elite, und dazu sollten sich die Reformer offen bekennen, bringt eine Zweiklassengesellschaft von Bildung und Forschung mit sich, in der es eine Breitenversorgung für die Massen gibt und Spitzenleistungen für wenige. Die Provokation, die von Scholz’ und Bulmahns Vorschlag ausgeht, ist, dass sie mit einem 30 Jahre alten gesellschaftlichen Konsens bricht. Der hieß „Bildung für alle“, und Bildung meinte eine umfassende geistes- und naturwissenschaftliche Ausbildung und nicht lediglich Training von Innovationslieferanten für die Wirtschaft.

Das Problem ist nicht in erster Linie, diesen Konsens aufzukündigen – er hat ja, wie derzeit zu sehen ist, nicht nur zum Erfolg geführt. Das Problem ist, dass eine Debatte über das Verhältnis fehlt, in dem die geplanten Elite-Unis zu den herkömmlichen stehen werden. Sind sie lediglich Außenposten von Deutschlands internationaler Wissenschaftskommunikation? Oder amerikanische Wissenschaftskonsulate in Deutschland?

Zu vermuten ist: weder noch. Universitäten sind viel zu eng mit gesellschaftlichen Strukturen verbunden, als dass eine punktuelle Elitengründung etwas an der grundsätzlichen Auffassung von Bildung und Forschung ändern würde. Der Erstsemester-Student, der seinen BMW auf dem Stanford Campus parkt, hat kein ideologisches Problem mit viel Geld und viel Wettkampf – im Unterschied zu seinem Kölner Kollegen, der auf dem Fahrrad unterwegs zum überfüllten Hörsaal ist.

Hier geht es um gesellschaftliche Strukturen und nicht um politische Entscheidungen. Eine Amerikanisierung der deutschen Bildung sollte man daher weder erhoffen noch befürchten. Die Erzeugung von Eliten aus der Retorte ist genauso wenig wie die Simulation von Amerika einer bestehenden Bildungslandschaft qua Edikt zu verordnen.

Elite-Universitäten zu gründen würde schlicht bedeuten, dass sich die Bildungspolitik von den großen Massenproblemen abwendet und statt dessen punktuelle Lösungen anbietet. Eine Elite-Universität würde weder die Bildungsmisere beheben noch die deutsche Universitätslandschaft als Ganze reformieren. Aber sie würde dieser nach wie vor krisengeschüttelten Landschaft ein neues Element hinzufügen. Man kann diesen Vorschlag sozial ungerecht nennen. Man kann sagen, dass er die Hochschulreform auf halbem Wege scheitern lässt und bestehenden Problemen schlicht den Rücken zuwendet. Man kann ihn aber auch als Modellversuch gelten lassen, der in einer schier ausweglosen Situation zumindest einen neuen Weg anbietet. Wohin er führte, so er käme? Das ist ungewiss – wie bei jeder Reform. Wohin er nicht führt, lässt sich aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen: weder nach Amerika noch ins Paradies einer universal gebildeten Gesellschaft. Die Frage ist, ob das eine schlechte Nachricht ist.

Dr. Nico Pethes ist Literaturwissenschaftler an der Universität Bonn. Er war zwei Jahre Gastdozent in Stanford, Kalifornien