Über 500 Rinder ohne BSE-Test im Handel

Künasts Ministerium will trotzdem nicht vor Fleischverzehr warnen. Denn das Risikomaterial werde ohnehin entfernt

BERLIN taz ■ Die verrückten Rinder sind wieder da – vor allem im Bewusstsein der Verbraucher. Nachdem die Gefahr der BSE-Seuche bereits fast vergessen war, schreckt eine Mitteilung aus dem Bundesverbraucherministerium in Berlin die Fleischliebhaber wieder auf: Mindestens 510 Rinder wurden vergangenes Jahr in Deutschland geschlachtet und vermarktet, ohne vorher auf BSE getestet worden zu sein.

Seit Dezember 2000 muss in der Bundesrepublik bei allen getöteten Rindern, die älter als zwei Jahre sind, untersucht werden, ob in ihrem Gehirn krankhaft veränderte Eiweiße (Prionen) vorhanden sind. Bei knapp drei Millionen Tests 2003 wurden bundesweit immerhin 54 BSE-Fälle festgestellt.

Ein Abgleich zwischen der BSE-Test-Datenbank und einer Rinderdatenbank, in der alle Geburten und Schlachtungen verzeichnet sind, ergab in den letzten Wochen in mehr als 10.000 Fällen Unstimmigkeiten. Zum größten Teil sind diese jedoch auf Eingabefehler zurückzuführen. In über 500 Fällen aber wurden Schwarzschlachtungen festgestellt. Die Gefahr, dass das nicht kontrollierte Fleisch verseucht ist, bezeichnete Staatssekretär Alexander Müller (Grüne) als statistisch „sehr gering“. Zumal das BSE-Risikomaterial wie Gehirn oder Rückenmark beim Schlachten entfernt und vernichtet wird. Auch Verbraucherministerin Renate Künast (Grüne) sieht keinen Anlass, vor dem Verzehr von Rindfleisch zu warnen – obwohl ihr Ministerium eine Rückrufaktion für möglicherweise ungetestetes Rindfleisch erwägt.

Zwar liegt die Wahrscheinlichkeit für einen BSE-Fall bei einer Rinderschlachtung derzeit nur bei 54 zu 3 Millionen oder 0,0018 Prozent. Nimmt man dies aber mal mit den 510 aufgedeckten Fällen, so kommt man rein statistisch auf eine Wahrscheinlichkeit von immerhin knapp 1 Prozent, dass eines der 510 schwarzgeschlachteten Tiere wirklich BSE hatte.

Als Motor der Schlampereien sieht Staatssekretär Müller „kriminelle Energie“, gespeist aus dem Willen, Geld zu sparen. Denn ein BSE-Test kostet – je nach Labor – zwischen 30 und 50 Euro. Der Rinderzuchtverband Berlin-Brandenburg hingegen sieht die Quelle allen Übels in dem vermeintlich zu komplizierten BSE-Testsystem.

Der Hauptvorwurf aber geht an die Länder. Angelika Michel-Drees, BSE-Expertin vom Bundesverband der Verbraucherzentralen, erklärte: „Die Gesetze sind ausreichend, die Kontrolle in den Schlachthöfen ist schief gelaufen, und diese Kontolle ist Aufgabe der Länder.“

Die jüngsten Schlampereien könnten die Verbraucher wieder wachrütteln. Dabei schien die Krise gerade überwunden: Im BSE-Krisenjahr 2001 war der Pro-Kopf-Verzehr von Rindfleisch von 10 auf 6,8 Kilogramm gesunken. Mittlerweile verspeist der Deutsche wieder 8,4 Kilo Rindfleisch. Und nachdem der Verkauf von Biorindfleisch vor etwa zwei Jahren explosionsartig angestiegen war, ist die Nachfrage jetzt wieder auf das Niveau vor der BSE-Krise gesunken.

BETTINA GARTNER