Kriegsgewinnler von der Küste

Vor 100 Jahren begann in Deutsch-Südwestafrika ein gnadenloser Kolonialkrieg gegen die Herero. Die norddeutschen Häfen leisteten militärischen Beistand und profitierten entsprechend. Vergangeheitsbewältigung? Beinahe Fehlanzeige

Aus Hamburg Heiko Möhle

Der Marschbefehl für die Marinetruppen der Seebataillone in Kiel und Wilhelmshaven kam Ende Januar 1904. Kaiser Wilhelms mobile Eingreiftruppe für die Weltmeere sollte helfen, einen Aufstand in Afrika niederzuschlagen. Wenige Wochen zuvor, am 12. Januar, hatten die Herero in Südwestafrika (heute Namibia) unter ihrem Führer Samuel Maharero mit Überfällen auf Militärstationen und Farmen den Kampf gegen die deutschen Kolonialherren eröffnet. Zu lange hatten sie ansehen müssen, wie weiße Siedler und Händler ihre Rinder und ihr Weideland raubten, Frauen vergewaltigten und Jugendliche in die Alkohol-Abhängigkeit trieben.

Aufstände hatte es in den deutschen Kolonien auch früher schon gegeben. Doch die eigens aufgestellte Schutztruppe hielt den überraschenden Angriffen der Herero nicht stand. Eilig wurden Truppenverstärkungen aus Deutschland geholt. Aus dem Aufstand wurde ein Krieg, der Zehntausende von deutschen Soldaten nach Afrika führte, vier Jahre dauern sollte und auf seinem traurigen Höhepunkt in den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts mündete (siehe taz-Dossier vom vergangenen Samstag).

Bis 1904 hatte sich selbst in den norddeutschen Seehäfen, den „Toren zur Welt“, kaum jemand dafür interessiert, was fernab in Afrika vor sich ging. Doch jetzt konnte man kaum noch die Augen verschließen vor dem Kolonialkrieg „Südwest“. In allen Garnisonsstädten meldeten sich Freiwillige für die „Schutztruppe“, die Zeitungen waren voller Frontberichte, in Rüstungsbetrieben und bei den Lieferanten von „Armee- und Marinebedarf“ wurden Sonderschichten eingelegt. Regelmäßig gingen Truppentransporte von Hamburg, Wilhelmshaven, Bremerhaven und Cuxhaven ab, doch immer häufiger brachten die Schiffe auf dem Rückweg die Überbleibsel der Gefallenen.

In der Arbeiterschaft der Hafenstädte wachse der Unmut darüber, „dass für eine Sandwüste, die nichts wert ist, so viele Menschen geopfert werden“, notierte ein Hamburger Polizeispitzel. Vereinzelt kam es zu Protestversammlungen. Der Zorn richtete sich insbesondere gegen den Reeder Adolph Woermann, der für den Transport von Soldaten und Material samt Pferden und Kamelen überhöhte Frachtraten in Millionenhöhe eingestrichen hatte. Zu den Kriegsgewinnlern zählte auch die „Otavi-Minen-und-Eisenbahn-Gesellschaft“, die mit Hamburger Kapital gegründet worden war, um große Kupfervorkommen im Norden des Hererogebietes abzubauen. Mithilfe kriegsgefangener Zwangsarbeiter ließ sie ihre Bahntrasse zum Fördergebiet in Rekordzeit fertig stellen. Im Geschäftsjahr 1906/07 begann der Abbau von Kupfererzen für die Norddeutsche Affinerie in Hamburg, die sich, wie die OMEG, im Besitz der Norddeutschen Bank befand.

Hundert Jahre später: Nachkommen der Herero unter Paramount Chief Riruarko haben vor US-amerikanischen Gerichten Klage auf Entschädigungszahlungen gegen die Nachfolgerfirmen der Woermann-Linie und der OMEG eingereicht. Ob sie damit Erfolg haben werden, ist zu bezweifeln. Aber es wirft die Frage auf, wie wir uns in Deutschland diesem unbewältigten Kapitel der Geschichte stellen. Im Marine-Ehrenmal Kiel-Laboe, im Hamburger „Michel“ wie in den Garnisonskirchen von Rendsburg und Wilhelmshaven erinnern Gedenkafeln an die „für Kaiser und Reich“ in „Deutsch-Südwest“ gefallenen Soldaten. In der ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne in Hamburg gibt es noch immer ein „Trotha-Haus“, dessen Eingang ein Porträt des Völkermörders schmückt. Einzig in Bremen wurde ein Kolonialdenkmal, der „Elefant“, vor einigen Jahren mit einer Tafel versehen, die der afrikanischen Opfer des Kolonialkriegs gedenkt. Bleibt abzuwarten, ob im Gedenkjahr 2004 auch andere Kommunen den Mut finden, sich der Geschichte zu stellen.Der Autor ist Herausgeber von „Branntwein, Bibeln und Bananen. Der deutsche Kolonialismus in Afrika – eine Spurensuche in und um Hamburg“. (1999)

Um Hintergründe des deutschen Kolonialismus geht es in einem Bildungsurlaub, den die VHS Hamburg im April veranstatet: „Damals in Afrika – Auf den Spuren deutscher Kolonialherrschaft“. Hamburger Eine-Welt-Initiativen planen ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm. ☎ 040-3589386