nebensachen aus wien
: Ein „Marmelade-Diktat“ aus Brüssel erregt Österreich

Die Kronen Zeitung, Österreichs größtes Kleinformat, sorgte sich wieder einmal um die drohende Überfremdung. Diesmal ging es nicht um Horden aus dem Osten, sondern um der Österreicher liebsten Frühstückaufstrich: die Marmelade. Schuld war natürlich die EU, die mit einem „Marmelade-Diktat“ über die Spracheigenheiten des Alpenvolkes drüberfahre. Entrüstet berichtete das Blatt im Oktober, dass einem Wachauer Gastronomen ein Strafverfahren drohe, weil er selbst gemachte Marillenmarmelade nicht – wie vorgeschrieben – als Konfitüre verkauft hatte. Anders als die Marille (Aprikose) steht nämlich die Marmelade nicht auf der Liste der 23 typisch österreichischen Ausdrücke, die von Brüssel anerkannt werden.

Nach dem streitbaren Kronen-Aufmacher meldete sich prompt Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll zu Wort: „Die Herrschaften dort sind die Oberbürokraten Europas. Sie sollten sich um die wahren Probleme Europas kümmern und die Finger von den regionalspezifischen Produkten unseres Landes lassen.“ Wenig später wurde ruchbar, dass Sozialminister Herbert Haupt (FPÖ) bei der Beschlussfassung der Marmelade-Richtlinie vor zwei Jahren eine sprachliche Sonderregelung hätte einfordern können. Das hat er aber unterlassen. Daher gilt auch für Österreich die angelsächsische Definition, wonach Marmelade aus Zitrusfrüchten gemacht ist. Was als Marillen- oder Heidelbeermarmelade gehandelt wird, muss als Konfitüre ausgewiesen werden. Österreich hat es aber verabsäumt, die Richtlinie bis zum Stichtag 12. Juli 2003 umzusetzen.

Spitzfindige Kommentatoren machten den Marmeladendisput tagelang zum Thema, ließen aber die von der Krone vorgegebene patriotische Gesinnung vermissen. So machte sich ein Miesmacher gar die Mühe, im etymologischen Wörterbuch nachzuschlagen, um triumphierend verkünden zu können, das Wort „Marmelade“ sei ebenso fremdländisch wie „Konfitüre“. Es stamme nämlich von der portugiesischen Bezeichnung für Quittenmus.

Kein Problem mit der Sprachregelung haben die Marmeladen- – pardon –, Konfitürenerzeuger Hans Staud und Klaus Darbo. Staud exportiert 40 Prozent seiner Produktion, den größten Teil nach Deutschland. Sein Eingemachtes geht auch in Österreich als Konfitüre anstandslos über den Ladentisch. Für Marktführer Darbo ist alles eine Kostenfrage: „Wenn wir unsere Produkte in Österreich Marmelade nennen, müssten wir für den deutschen Markt eigene Etiketten drucken.“

Einen Ausweg meint inzwischen Johann Thiery gefunden zu haben, jener Gastwirt, dessen Fall den verbalen Marmeladenkrieg ausgelöst hat. Er hat einen Passus in der EU-Verordnung entdeckt, der besagt, dass „der in Österreich verbreitete Ausdruck ‚Marmelade‘ als zusätzliche, so genannte nicht irreführende Sachbezeichnung erlaubt ist“. Er darf also groß „Wachauer Marillenmarmelade“ aufs Etikett schreiben. „Konfitüre muss nur klein darunter stehen.“

Inzwischen hat Agrarkommissar Franz Fischler eine Ausnahmeregelung für Privatproduzenten und Kleinbetriebe vorbereiten lassen. Sie werden künftig ihr Eingekochtes als österreichische Marmelade bezeichnen können. Wird das akzeptiert, hätte Österreich nach der schmachvollen Niederlage im Transitstreit doch noch einen Triumph in Brüssel errungen. RALF LEONHARD