Puttin‘ on the Ritz

Vom Umgang mit neurotischen Hunden: Am Sonntag eröffnete die Ritz-Carlton-Kette am Potsdamer Platz ihr bislang luxuriösestes Hotel – ohne wirkliche Prominenz, dafür aber mit jeder Menge Champagner und wachsamen Zimmermädchen

VON CORNELIUS TITTEL

Manche Strafen sind hart, manche gerecht. Der wütend prasselnde Wolkenbruch, der am Sonntagnachmittag pünktlich zur Eröffnung des Ritz-Carlton am Potsdamer Platz niederging, war beides. Hart und gerecht. Was hatte man im Vorfeld nicht alles gelesen: Das luxuriöseste Hotel Berlins, wenn nicht ganz Europas, sollte es werden, ein Magnet für den internationalen Jetset und Geldadel, ein funkelnder Goldzahn mitten im moribunden Berliner Architekturgebiss. Und dann dies: Von nahem betrachtet wirkte das Beisheim-Center plötzlich, als hätte man mit Mitteln des ostdeutschen Plattenbaus ein 20er-Jahre-Art-déco-Hochhaus nachgebaut – halb Nikolaiviertel, halb Fifth Avenue. Und als wäre dies nicht traurig genug, sollte ausgerechnet eine Modenschau Harald Glööcklers als Startschuss der Eröffnungsfeierlichkeiten dienen.

Man wusste gar nicht, worüber man sich mehr ärgern sollte: darüber, dass die Verantwortlichen die Show unter freiem Himmel geplant hatten und nun, wie zum Hohn, Wärmedecken und Ritz-Carlton-Schirme ans durchgeweicht frierende Premierenpublikum verteilten; oder über Glööckler selbst, dessen „pompöösen“ Defilees (gern angeführt von seiner silikongebeugten „Muse“ Brigitte Nielsen) in etwa das sind, was sich Abendschau-Moderatoren unter Metropolenglamour vorstellen.

Allein der Regen wusste Glööckler zu verhindern, und hätte Wowereit nicht außerplanmäßig früh das rote Band vor dem Eingang durchschnitten, der regenschirmbewehrte Premierenmob hätte sich den Weg frei geprügelt. Ein Start nach Maß also, der drinnen, zwischen neoklassizistischen Marmorapplikationen und Pralinenpyramiden umgehend mit Champagner begossen wurde.

Wer trinkt, vergisst, und so war der Regierende Bürgermeister nach einer kurzen Regenerationsphase im für die wahren Glitterati (Schily, Schönbohm etc.) abgesperrten Gourmetrestaurant „Vitrum“ wieder gelöst genug, um sich in die Schlacht am Austernbuffet zu stürzen und einen ZDF-Reporter mit der gewagtesten These des Abends zu überraschen. Ob ein weiteres dürftig ausgelastetes Luxushotel die Hauptstadt tatsächlich attraktiver mache, wollte der ZDF-Mann wissen. Wowereit überlegte nicht lang: Er glaube fest daran, dass nun mehr Touristen in die Hauptstadt kämen, schließlich gebe es einen Menschenschlag, der grundsätzlich nur in Ritz-Carlton-Hotels absteige und deshalb bis dato einen großen Bogen um Berlin gemacht habe.

Welchen Schlag Mensch sich die Hoteldirektion als Bewohner ihrer knapp 100 qm großen Suiten (2.500 Euro die Nacht) vorstellt, war nicht zu erfahren. Als Indiz kann man jedoch sowohl die Innenarchitektur – Blattgold, Kirschholz, Marmor: alles, was man sich in Las Vegas unter Schinkel und Spätempire vorstellt – als auch die Literaturauswahl der Suite-eigenen Bibliothek für sich sprechen lassen. „Die zweite Hälfte unseres Lebens“ heißt zielgruppengerecht einer der dort geparkten Spitzentitel, ein anderer: „Vom Umgang mit neurotischen Hunden“.

So wurde es dann doch noch ein lustiger Abend; Harald Glööckler ließ sich aufgrund der Abwesenheit echter Prominenter unzählige Male in unfassbar tuntigen Posen fotografieren, die Jakobsmuscheln waren auf den Punkt gegart, und ein offensichtlich neurotisches Zimmermädchen sorgte für finale Heiterkeit, als es einer Besucherin die Security auf den Hals hetzte, nur weil diese ein streichholzschachtelgroßes Ritz-Carlton-Nähset eingesteckt hatte. „Es ist doch nur ein Nähset“, stotterte sich die Arme haarscharf an einer Anzeige vorbei. Berlin, so wusste man spätestens jetzt, bleibt doch Berlin: Komme, wer wolle, gegen Glamour ist man imprägniert.