Ehrengräber für die Elite

Kanzler Schröders Spin-Doktoren wirbelten die Idee heraus, im Zusammenhang mit dem Begriff „Innovation“ über „Elite-Universitäten“ die Elite ins Spiel zu bringen. Wer und wo sind Deutschlands wahre Eliten eigentlich? Auf dem Friedhof. Da gehören sie auch hin. Eine Spurensuche

„Wegen der Unfähigkeit zur Revolution gibt es für Elite hier nur eine biologische Lösung“„Für das Militär gibt es noch ein zweites Endlager in Berlin: den Garnisonsfriedhof“

VON HELMUT HÖGE

Die deutsche Elite findet man vornehmlich auf Friedhöfen. Da gehört sie eigentlich auch hin! Denn wegen der hiesigen Unfähigkeit zur Revolution gibt es nur diese biologische Lösung für sie. Die deutsche Selbst-„Auslese der Besten“ wuchert allerdings auch noch mit den verblichenen Knochen ihrer Altvorderen. So wurden zum Beispiel gleich nach der Wende als Erstes die provisorisch in Westdeutschland zwischengelagerten Gebeine des letzten Hohenzollernkaisers nach Potsdam „heimgeführt“.

Bei der Zweit-Bestattung der Reste dieser Meta-Elite war alles, was heute Rang und Namen hat, am Grab versammelt. Anschließend wurde Potsdam zügig zum Zentrum der deutschen und EU-Militärelite ausgebaut. Auf den dortigen Friedhöfen („Was in Sanssouci stirbt, das wird in Potsdam-Bornstedt begraben“, schrieb Fontane) war zuvor bereits ein Teil der preußischen sowie auch der DDR-Militärelite bestattet worden.

Wie ja überhaupt sich die DDR als Nachfolgestaat Preußens begriff. Beider Geisteseliten fanden deswegen auch auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte zueinander: Hegel und Fichte, Borsig und Schinkel (Letzterer unter einem von ihm selbst gestalteten Grabstein), ferner Becher und Brecht, Heiner Müller und Jürgen Kuczinsky.

Die von Theodor Fontane einst abgeklapperten Landadligen – „Preußens wahre Elite“ – liegen jedoch großenteils auf „Privatfriedhöfen“, ihren Herrensitz im toten Blick. Solche Ruhestätten dürfen aber seit 1934 aufgrund eines von Adolf Hitler unterzeichneten Bestattungsgesetzes nicht mehr neu eingerichtet werden. Seitdem lässt man höchstens noch das Gewohnheitsrecht gelten.

Die Nazi-Elite selbst favorisierte dann den Militärfriedhof am Spandauer Schifffahrtskanal – Invalidenfriedhof genannt. Sie plante dort sogar, die ihnen wichtigsten Grabmäler in einer gigantischen „Soldatenhalle“ mit Gruftgewölbe zu versammeln. Im 19. Jahrhundert waren hier die mit dem Eisernen Kreuz und dem „Pour-le-Mérite“ ausgezeichneten Offiziere beerdigt worden. Dann kamen die im Ersten Weltkrieg gefallenen Ordensträger dazu – vornehmlich adlige Flieger, unter anderem Manfred Freiherr von Richthofen, den man 1925 aus Frankreich überführte.

Vom Invalidenfriedhof wurde er aber nach dem Krieg wieder ausgebuddelt, um schließlich 1976 in Wiesbaden seine letzte Ruhestätte zu finden. 1941 wurde die Leiche seines Kampffliegerkameraden, des Generalluftzeugmeisters Ernst Udet, auf dem Invalidenfriedhof bestattet, im Jahr darauf der „Schlächter von Prag“: SS-Führer Reinhard Tristan Heydrich – und noch so mancher andere Naziführer. Aber auch einige der 1944 hingerichteten adligen Offiziere des gescheiterten Attentats auf Hitler. Die DDR ließ den Heldenfriedhof in Mitte erst schließen und dann – mit dem Mauerbau – einen Teil davon sogar schnöde planieren, um dort einen Todesstreifen anzulegen. Ähnliches passierte zur gleichen Zeit auch mit dem Zivilistenfriedhof St. Hedwig an der Liesenstraße, wo unter anderem Theodor Fontane und die Familie Adlon beerdigt wurden.

Umgekehrt hatten die Nazis zuvor die „Gedenkstätte der Sozialisten“ in Friedrichsfelde geschändet, wobei sie auch das von Mies van der Rohe entworfene Denkmal für die Spartakusführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht platt machten. Auf diesem „Zentralfriedhof“ befinden sich bereits seit 1900 die Grab- und Gedenksteine der sozialistischen Elite.

Erwähnt seien Ernst Thälmann, Franz Mehring, Paul Singer, Hugo Haase, Erich Weinert, Friedrich Wolf, Willi Bredel, Käthe Kollwitz, Irmtraud Morgner, Hermann Duncker, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht. Dessen Ehefrau, die erst kürzlich verstorbene Lotte Ulbricht, wollte jedoch partout nicht in der Gedenkstätte Friedrichsfelde beerdigt werden: „Unsinn“, meinte sie, „ich bin nicht so wichtig.“ Stattdessen wurde ihre Leiche dann auf dem St.-Georgen-Friedhof in Weißensee beigesetzt.

Die nationalsozialistische Elite wurde – sofern man sie nach dem Krieg hinrichten konnte – verbrannt und ihre Asche hernach in „alle Winde“ verstreut, um eine Pilgerwanderung von Neunazis zu ihren Gräbern zu verunmöglichen. Eine seltsame Häufung von eilig verscharrten Leichen aller politischen Couleur ereignete sich auf dem Gelände des ehemaligen ULAP (Universum Landesausstellungspark) zwischen Lehrter Bahnhof, Invalidenstraße und Alt-Moabit, wo 1916 eine Munitionsfabrik ihre Arbeit aufnahm.

Hier wurden 1919 die ermordeten Spartakisten aus dem Zellengefängnis Lehrter Straße, den Moabiter Kasernen und dem Kriminalgericht verscharrt. 1927 stieß man bei Ausschachtarbeiten anlässlich der Elektrifizierung der Stadtbahn erst auf 7 und dann noch einmal auf 119 chlorkalkbedeckte Leichen. Ab 1933 wurde das ULAP-Restaurant „Messepalast“ Treffpunkt und Folterraum der Sturmabteilungen I, II und VI. Im April 1945 hielt die „Soko 20. Juli“ noch etwa 100 Verdächtige gefangen. Am 23. sollten sie entlassen werden. Man transportierte sie stattdessen auf Lastwagen zum ULAP-Gelände, wo sie erschossen wurden.

Eine Woche danach wurden dann die beiden flüchtigen Naziführer Martin Bormann und der SS-Arzt Stumpfegger tot auf dem ULAP-Gelände gefunden und dort von Sowjetsoldaten eingegraben. Bormanns Leiche konnte man erst 1973 identifizieren. In der Zwischenzeit hatte die Stadt sinnigerweise gerade dort auf dem Trümmerfeld ihre neue Leichenhalle errichtet, wo dann prompt auch die ersten Opfer der Studentenbewegung – Benno Ohnesorg und Georg von Rauch – hinkamen.

Die bürgerliche Elite im Westen, Künstler wie Politiker, ließ und lässt sich am liebsten in den Bezirken der Besten – Zehlendorf, Dahlem, Grunewald – beerdigen. Auf der so genannten Toteninsel, dem Friedhof Grunewald, liegen zum Beispiel der Bankier Bernhard Dernburg, der Jurist Friedrich Dernburg, das Schriftsteller-Ehepaar Sudermann und der Physiker Hans Geiger, nach dem der Geigerzähler benannt ist. Auf dem Zehlendorfer Waldfriedhof ruhen unter anderen der Politiker Julius Leber und der Kabarettist Wolfgang Neuss, auf dem städtischen Zehlendorfer Friedhof der Optiker Carl Ruhnke und auf dem Dahlemer Waldfriedhof der Schauspieler O. E. Hasse. Sie haben meist kostenlose „Ehrengräber“.

Für das Militär gibt es noch ein zweites Endlager in Berlin: den Garnisonsfriedhof. Hier liegt vor allem die Elite aus den napoleonischen Kriegen, den Befreiungskriegen und dem Zweiten Weltkrieg – unter anderem General von dem Knesebeck, ferner Adolph von Lützow, der Baron de la Motte Fouqué und auf dem so genannten Brauchitsch-Hügel der Scharnhorst-Gefährte Generalmajor von Boguslawski. Die letzte Beerdigung auf dem Garnisonsfriedhof fand 1961 statt.

An sich beherbergt jeder Berliner Friedhof mindestens einen toten Angehörigen der deutschen Elite. Von allen europäischen Hauptstädten besitzt Berlin mit 225 die meisten Friedhöfe, zusammen nehmen sie 1,5 Prozent der Gesamtfläche der Stadt ein. All das spricht bereits für die Eingangsthese, dass der elitäre deutsche Volksteil auch noch über den Tod hinaus viel Raum beansprucht.

Die dumpfen Massen bevorzugen dagegen eher platzsparende Urnengräber, das heißt die so genannte Feuerbestattung, die hierzulande allerdings erst seit 1911 erlaubt ist. Heute werden bereits 75 Prozent aller Verstorbenen aus der Nichtelite eingeäschert. Und ihre Angehörigen wollen immer häufiger die Urne mit nach Hause nehmen – denn permanent steigen die Friedhofsgebühren. Ähnlich wie in Nordrhein-Westfalen wird man deswegen wohl auch bald in Berlin den seit 1934 bestehenden „Urnenzwang für Friedhöfe“ (Tina Klopp) aufheben. Allerdings darf man die Asche dann immer noch nicht privat verstreuen, sondern muss sie auf einem öffentlich zugänglichen Gelände – in „Würde“ – unterbringen: in einem extra dafür ausgewiesenen deutschen Wald beispielsweise.