Stolze Trotzköpfe

Die Renaissance des ungarischen Weins ist ein zartes Pflänzchen, aber das Potenzial ist unermesslich

Es gibt Weinkulturen, die uralt und faszinierend sind, aber trotzdem nur marginal wahrgenommen werden. Ungarische Weine sind so. Seit zwei Jahrtausenden wird in Ungarn Wein kultiviert, jahrhundertelang waren die besten von ihnen Inbegriff und Vorbild für hochwertige Weine in ganz Europa. Das Spektrum war breit, reichte etwa von trockenen, charaktervollen Weißweinen aus Somló über trockene, finessenreiche Rote aus dem südungarischen Villány bis hin zu kostbaren edelsüßen Tokajern.

Davon blieb nur ein Mythos, er wurde im kommunistischen Ungarn verramscht. Ein verlorenes Territorium, das junge Spitzenwinzer nun wieder zurückerobern. Denn mit der politischen Wende begann in Ungarn ein qualitativer Aufbruch. Wichtigste Voraussetzung für die positive Entwicklung ist, dass eine neue Generation von Winzern sich mutig entschied, sich auf ihre Wurzeln und Identität im Weinbau zu besinnen. Denn der Kommunismus hat nicht nur die Weinkultur beschädigt, sondern auch die Menschen, die letztlich das Profil eines Weins prägen. Trotzdem: Ungarischer Wein ist ein zartes Pflänzchen, dem die Zukunft gehört.

Auf der Grünen Woche findet man von den neuen Weinen und ihrer Philosophie indes keine Spur. Wer die sucht, ist im Weinfachhandel gut beraten. Bislang fokussiert sich die Weinrenaissance vor allem auf zwei Weingebiete, Tokaj in Nordostungarn und Villány im Süden des Landes. Die Winzer im Tokaj glauben, dass es kein Zufall ist, dass die Natur gerade ihnen diese edelsüßen Weine schenkt. Sie glauben, dass Tokajer alles vereint: die Tiefe und Konzentration eines roten Bordeaux, die Fülle eines Burgunders und die Energie eines Rieslings. Der internationale Weinmarkt erlebt gerade einen Rotwein-Boom, Weißweine lassen sich am besten „trocken“ verkaufen. Wer wartet da ausgerechnet auf süßen Tokajer? Der Tokajer war ein halbes Jahrhundert lang nicht in der internationalen Spitze vertreten. Nur: Die jungen Winzer sind stolze Trotzköpfe. Sie glauben an dunkle Geheimnisse, die tief im Boden stecken und ihren Tokajer prägen. Lieber produzieren sie am Bedarf vorbei, als noch einmal ihre Wurzeln zu leugnen. Villány ist ein Nest in Südungarn. Ein Dorf mit 3.000 Einwohnern und 600 Winzern. Alles dreht sich um Wein. Man kann ihn förmlich auf der Straße riechen. In Villány können atemberaubende Rotweine wachsen, die eine ernsthafte und eigenständige Alternative zu bestem Bordeaux sein können. Ambitionierte Winzer wie Attila Gere oder Gabor Szende treiben den Aufbruch voran.

Die Ungarn sind ein kleines Volk. Sie haben oft Fremdherrschaft erdulden müssen: Türken, Österreicher, Russen. Der 30-jährige László Mészáros ist Direktor im Tokajer Top-Weingut Disznókö. „Krieg und Kommunismus“, sagt er, „haben den Tokajer 50 Jahre gekostet.“ Er fügt leise an: „Aber was sind schon 50 Jahre. Es ist ein Glück, dass es uns noch gibt.“ TILL DAVID EHRLICH

Gute ungarische Weine bekommt man preiswert in der Weinlese, Crellestr. 43, 10827 Berlin, Tel. (0 30) 7 81 71 48, Do. bis Fr. 15 bis 19 Uhr, Sa. 10 bis 16 Uhr